Nummer 2
Monatsschrift für Pädagogik und Schulpolitik
4.
Herausgegeben vom „Verbände der jüdischen Lchrervereine im Deutschen Reiche"
Die „Jüdiscbe Schulzeilung" erscheint am 15. einesjedenMonals undwirdallen Mitgliedern der dem „Verband der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche" angeschlossenen Vereine kostenlos zugestellt. — Post-Bezugspreis für N i ch t Mitglieder: Mk. 1.20 pro Quartal.
Hamburg, 15. Februar 1928
Druck, Vertag und Geschäftsstelle:
M. Leßmann, Hamburg, ABC-Straße 57. Tel.: Sammelnummer C4 Dammtor 0737
Verantwortlich für den redaktionellen Teil:
M. S t e i n h a r d t - Magdeburg, für den Inseratenteil: E. L o o s, Hamburg. Anzeigenpreis 40 ^ für die Ogespaltene Nonpareille-Zeile.
Inhalt dieser Nummer:
Die jüdische Schule in ihrer Bedeutung für das jüdische Leben in Deutschland. Von Hauptlehrer Dr. B a m b e r g c r , Nürnberg. Vereinsberichte. Literarisches. Bei der Schriftleitung cin- gegangene Bücher. Mitteilungen aus dem Lehrerverbande.
Die jüdische Schule in ihrer Bedeutung sür das jüdische Leben ln Deulschland.
Referat,
gehalten aus dem IX. Lehrcr-Verbandstage in München, am 27. Dezember 1927,
von Hauptlehrer Dr. Bamberg er, Nürnberg.
Wenn wir die Lage des heutigen Judentums in Deutschland und die Bedeutung der jüdischen Schule sür die Gegenwart verstehen wollen, so müssen wir eine historische Betrachtung anstellen, die uns zeigen wird, wie der heutige Zustand entstanden ist. Diese historische Betrachtung wird uns vor allen Dingen klar machen, daß die Gestaltung von Unterricht und Erziehung sich jeweils den gegebenen Kulturverhältnissen anpaßte, wie aber auch umgekehrt die Schule die Gestaltung der Kultur stark beeinflußt hat. Es bestand von jeher eilt reziprokes Verhältnis zwischen Unterricht und Erziehung einerseits und Kulturlage andererseits.
Es ist eine historische Tatsache, daß im Judentum von seinen ersten Anfängen an der Schule eine erliste und tiefe Bedeutung zuerkannt worden ist. Von der biblischen Zeit her spielt die Belehrung und Erziehung' der Jugend eine maßgebende Nolle. Wir erinnern nur. um Allbekanntes festzustelten. an den biblischen Satz: ..Du sollst sie ein schärfen deinen Kindern" usw. In diesem Satze ist dem jüdischen Vater zur Pflicht gemacht, der Lehrer und Erzieher seiner Kinder zu sein, um die junge Generation heranzubilden für die Teilnahme an der Führung und Forterhaltung der jüdischen Gesamtheit. in die sie einst einzutreten hat. Mit der Dissereu^ zicrung und Entwicklung des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens ist im Judentum frühzeitig all die Stelle des Vaters und des Hauses der Lehrer und die Schule getreten. Es ist bezeichnend, daß das jüdische Schrifttum, um die Kontinuität seiner Auffassung sortzusctzen, dein Lehrer dem Kinde gegenüber die Stelle des Vaters eiu- räumt. Und wiederholt wird betont, daß der geistige Vater, also der Lehrer, über dem leiblichen Vater zu stehen habe. Es wäre ganz interessant, dieses Problem: Vater und Lehrer durch die ganze jüdische Literatur zu verfolgen. Es würde uns zu der Ueberzeugung führen, daß die Erhaltung des Judentums ohne Erziehung und Unterricht undenkbar ist. Diese Erkenntnis war klar und bewußt, im Judentum schon in den ältesten Zeiten vorhanden und führte je nach den Zeitverhältnissen und
Strömungen zu ganz spezifischen Formen in der Gestaltung von Unterricht und Erziehung und der sich daraus, ergebenden Schnlgattung. Die Schule bildete eine Volksinstitution von überragender Bedeutung. Im jüdischen Kreis war der Gedanke ganz selbstverständlich: wer die Schille hat. hat die Zukunft. Kurz vor dem Untergang des zweiten Tempels wird uns von der Gründung jüdischer Volksschulen berichtet, deren Gründer der Hohepriester Josuuh ben Gamlah gewesen ist, und der Talmud wendet auf ihn den Satz an: ..Fürwahr, gedenke jene» Mannes, denn wäre er nicht gewesen, so wäre die Thora in Israel vergessen worden."
Mochte clso der jüdische Staat politisch untergehen und der Tempel in Feuer ausgehen, das jüdische Volkstum, der jüdische Geist wurde gerettet und getragen von der jüdischen Volksschule und der Schule zu Jabne. So ist es geblieben durch das ganze Mittelalter hindurch. Wenn auch die Anforderungen materieller Art noch so groß waren — und was hatten mittelalterliche Schutzjuden nicht alles an Steuern zu leisten —, so hat mau niemals die Kultur darunter leiden lassen. Wir können mit Stolz aus das jüdisch-mittelalterliche Erziehungs-und Bildungswesen Hinweisen, wie es uns Güdemaun in klassischer Form dargestcllt hat.
Bis in die Neuzeit hinein bestand überall ein blühendes jüdisches Erzichungs- und Unterrichtswcsen. Diese Schulen vermittelten neben dem religiösen Lehrstoff den ganzen realen Bildungsstoff der Zeit. Wer auch nur eine Ahnung von dem Inhalt der Mischnah und des Talmuds hat. weiß, daß man diese religiösen Quellen nicht beherrschen kann, ohne mathematische, sprachliche, naturwissenschaftliche, historische und geographische Kenntnisse. Vielfach wurden die methodischen und didaktischen Grundsätze dieser jüdischen Lehranstalten stark beeinflußt von der nichtjüdischen Umgebung, wie überhaupt die ganze Zeitkultur auf die Juden geistigen Einfluß gewonnen hat. Aber ebenso sind oft Einrichtungen der jüdischen Schulen von Einfluß gewesen auf die nichtjüdische Welt. Wie wirtschaftlich, so hat auch kulturell ein gegenseitiges Nehmen und Geben stattgefunden.
; Als dann am Anfang des 19. Jahrhunderts die Geschlossenheit und innerliche Einheit der jüdischen Welt durch die Emanzipatiousbestrebuugen erschüttert worden war, mußte man vom jüdischen Standpunkt aus neu Stellung nehmen zu den herrschenden politischen und kulturellen Problemen, und man versuchte natürlich aus dem Wege über die Schule die junge Generation für die neuen Zeitverhättnisse zu erziehen, und so entstanden eine Reihe neuer jüdischer Lehranstalten, wie die Freischule in Berlin, die Samsonschule in Wolfenbüttel, das Phi- lanthropin in Frankfurt a. M.. die Realschulen in Hamburg. Frankfurt und Fürth, die Rabbinerhochschulen