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Monatsschrift für Pädagogik und Schulpolitik

Heransgegeben vomVerbände der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche"

DieIudisci'e Schulzeiumg" erscheint am 15. einesiedenMonals und wir d allen »tirgliedern der demVerband der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche" ancieschlossencn Vereine kostenlos zugeslellt. Post-Bczngspreis für R i ch t Mitglieder: Mk. 1.20 pro Quartal.

Hamburg, LS. März 10L8

Druck, Verlag und Geschäftsstelle:

M. Lehmann, Hamburg, ABC-Strahe 57. Tel.: Sammelnummer C4 Dammtor 0737

Verantwortlich für den redaktionellen Teil:

M. Steinhardt. Magdeburg, für den Inseratenteil: G. L o o s, Hamburg. Anzeigenpreis 40 ^ für die Ogcspaltene Nonpareille-Zeile.

Inhalt dieser N u m m e r :

Die jüdische Jugendbewegung und die jüdifchoc^Lehrerfchaft von A. Neuhaus. Vereinsberichte. Literarisches. Bei der Schriftleitung eingegangene Bücher. Notiz.

Die jüdische Jugendbewegung und die jüdische Lehrerschafl.

(Vom jüdisch-weltanschaulichen Standpunkte aus behandelt.)

Von A. Neuhaus. Fritzlar.

Meine Aufgabe ist es, von den Beziehungen zwischen der jüdischen Jugendbetvegung und der jüdischen Lehrer­schaft. von dein> was sie eint und verbindet und zum gemeinsamen Werke sich zusammenfinden läßt/ zu Ihnen zu sprechen. Als mir genau vor Jahresfrist unser Hei5r Vorsitzender das Referat übertrug, zögerte ich einen Augen­blick, es anzunehmen, mich fragend, ob bei der Distanz der Jahre, die ich zur Ingrid habe, mir das Recht zustehe, an die Behandlung dieser Frage heranzutretcn. Aber nur einen Augenblick dauerte diese Ucbcrlegung, und ich willigte in die Ucbernahme der mir zugedachten Auf­gabe ein. Die Sehnsucht nach einem neuen jüdischen Menschen "spricht aus dem Geiste der jüdischen Jugend­bewegung. Dieselbe Sehnsucht wirkt in dem Schaffen und Streben eines jeden jüdischen Lehrers, der mit Ernst an der Vervollkommnung der 'ihm anvertrauten Jugend arbeitet. So verliert der Abstand der Jahre hier seine bestimmende Kraft. Wir wissen uns eins mit dem Geiste der jüdischen Jugendbewegung, mit ihren Aufgabeli und ihrer Zielsetzung, und aus dieser uns einenden Gesinnung heraus glaubte ich. mich der Pflicht zur Tlebernahme des Referates nicht entziehen zu dürfen.

Die Sehnsucht nach einem neuen jüdischen Menschen hat die jüdische Jugendbewegung geboren, wie aus der Sehnsucht nach einem neuen Menschen die allgemeine Jugendbewegung entstanden ist. Diese ist die Voraussetzung der jüdischen, ihre zeitliche und auch den Kern ihres Wesens unmittelbar berührende Grundlage. In der Form, in der uns die jüdische Jugendbewegung ent- gegentritt, wäre sie ohne die allgemeine Jugendbewegung nicht denkbar. Die von der Großloge des Bene-Beriß- Ordens ins Leben gerufenen Jugendvercine gehen ge­schichtlich der jüdischen Jugendbewegung voraus; aber sie sind nicht als Jugendbewegung anzusprechen. Deren charakteristisches Merkmal ist darin zu suchen, daß Jugend' zu Jugend spricht. In den Jugendvereinen aber wird Jugendpflege getrieben, d. h. erwachsene und reife Man­schen widmen sich in erzieherischer Absicht den Jugend­lichen, um auf ihre Entwicklung Einfluß zu gewinnen. Insbesondere sehen sie es als ihre Ausgabe an, die in der Großstadt des Elternhauses entbehrenden jungen

Menschen vor Schädigungen aller Art zu wahren, die ihr sittliches Wachstum gefährden könnten. Von solchen Be­weggründen weiß sich die Jugendbewegung zunächst frei. Was sich in ihr entfaltet und im mächtigen Durchbruche zum Ausdruck kommt, ist ein neuer Lebenswille, der den Vorgefundenen Formen der Zivilisation selbstbewußt im Namen des Lebens der geahnten Zukunft entgegeu- tritt. Dem Menschen der Vergangenheit und oer Gegen­wart wird der Mensch der "Zukunft entgegengestellt, ohne daß man sich über dessen Art eine genaue Rechenschaft zu geben vermag. Es ist mehr ein dumpfes Ahnen, ein dunkles Fühlen, als ein klares Wissen. Nur die Sehn­sucht ist lebendig und drängt dem Bestehenden gegenüber zu einem entschiedenen Nein. Dieselbe Sehnsucht läßt den Jugendlichen aus den einengenden Mauern der Groß­stadt in die freie Natur flüchten, in Feld und Wald, auf die Höhen der Berge, in die Schluchten der Täter. In der Rückkehr zur schöpferischen Natur glaubt die Jugend die Quellen eines eigenen schöpferischen Lebens zu finden. Sie fühlt die Krisis der Kultur und sucht in neuen Le­bensformen, frei von allem Konventionellen und Her­gebrachten, in gesuchter Einfachheit der Kleidung und der gesamten Lebenshaltung dieser alten, ihrer Meinung nach sich überlebt habenden Kultur eine neue entgegen zu stellen. Auf dem Hohen Meißner in Hessen versammelt sie sich, um eine Formel zu finden, die die ganze be­wegte Jugend vereinigt, und sie findet sie in dem Ge­löbnis, daß sie nach eigener Bestimmung. vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten wolle und für diese Freiheit unter allen Um­ständen geschlossen eintrete.

Dieses Gelöbnis, auf dem Plateau des hohen VergeS. zwischen Himmel und Erde ausgesprochen, bedeutete eine Tat in der Geschichte der Jugend aller Zeiten und kann nur begriffen werden aus der verwirrenden Sinnlosigkeit einer haltlos gewordenen Welt. Gegensätze zwischen Vater und Sohn haben immer bestanden, und gerade in Zeiten der Bewegung wird stets eine mehr oder minder große Kluft zwischen den beiden Generationen zu finden sein. Aber dieser Gegensatz hat sich wohl nie in einer solchen umfassenden Art ausgewirkt wie hier. Bisher hatte es sich um die Auflehnung eines Einzelnen oder einer ein­zelnen Gruppe gehandelt, denen der Machtwille eines unnachgiebigen Vaters oder einer in gleicher Haltung verharrenden Gruppe gegenüberstand, die dein Geltungs­triebe der jungen Menschen nicht entgcgenkamen und sie zu bloßen Werkzeugen ihres eigenen Willens herab­würdigen wollten. Von solchen Gegensätzen erfahren wir genug in Geschichte und Erzählung, in den Werken des Dichters wie in den noch unerschöpflicheren Gestaltungen der Wirklichkeit. Aber das Ereignis auf dem Hohen Meißner bedeutete unendlich mehr. Es stellte die Absage einer ganzen Generation an die vorhergehende dar. Nach