Seite 2 . . Jüdische Schulzeitung. _

eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit will die neue Jugend an die Formung eines neuen Lebens gehen. Das Vorbild der Eltern ist für sie nicht maßgebend; der bestehenden Kultur wirst sie den Fehdehandschuh hin. Nur das eigene Ich. gebunden freilich an Verantwortung und Wahrhaftig­keit, soll die Entscheidung bringen, die das Leben fordert.

Aber dieser Anspruch der Jugend scheiterte an der Unzulänglichkeit der sich auflehnenden Kräfte. Kritik ist wohl die Voraussetzung jeder neuen Schöpfung, aber sie ist nicht das Schöpferische selber. Niemals wird das Neue von der Masse geboren. Sie schafft die Atmosphäre, in der das Neue sich zum Lichte emporringcn will; aber zur schöpferischen Tat bedarf es des schöpferischen Men­schen. der. das Gären und Drängen seiner Zeit in sich tragend, in gewaltigem vulkanischen Ausbruche ausspricht, was Sehnsucht und Wille seines Geschlechtes ist.

Was mit dem auf dem Hohen Meißner ausgespro­chenen Gelöbnis Wirklichkeit werden sollte, fand auch seine Hemmung in dein Leben selber. Dieses erwies sich stärker als alte Sehnsüchte. Es kam der Krieg mit seiner Not und seinen harten Tatsachen, die allem Zu­kunftsverlangen ein jähes Ende bereiteten. Die Schick­salsschwere der Gegenwart legte' sich lähmend auf jedes Zukuustshosfen. Alle Kraft, alle Energie, alles Streben, alle Willensimpulse flössen in das eine zusammen, die Not einer aus tausend Wunden blutenden Gegenwart zu lindern. Was sollte in dieser Schicksalsstunde des deutschen Volkes der Traum von einer neuen, besseren Menschheit?

Der Geist der Meißnerzeit ist überwunden. Ein neneS Geschlecht arbeitet sich empor. Es bleibt nicht bei dem Nein stehen; ein freudiges Ja entringt sich seinen Lippen. Der Wille zur Neugestaltung lebt in ihm in aller Macht; aber er geht nicht blinden Auges an der Welt der Wirklichkeit vorüber, als ob sie nicht vorhanden wäre. Neugestaltung bedeutet hier, die Welt so nehmen, wie sie ist. sie in ihrer Wesenheit bejahen. Aber nicht bei dem Ja stehen bleiben, so wenig wie man bei dem Nein stehen geblieben ist. sondern den Meißel anlegen und an dem spröden Stoff formen und. gestalten, bis sich in zäher Arbeit dem zum Neuen drängenden Willen das ersehnte Bild in seiner Reinheit und Vollendung erschließt. Keine Romantik mehr! Keine Flucht aus der Wirklichkeit! Keine utopischen Gebilde und Phantasien! Vielmehr das Leben in seiner brutalen Wirklichkeit schauen und sich Hineinstürzen in den Strom, um in ihm unter­zutauchen. und dann doch, wenn es sein muß.- mit starken Armen gegen ihn anschwimmen. Damit wird die bewegte Jugend von heute ein organisches Glied des Volkslebens. Jugend ist nur ein Teil dieses Lebens, eine Stufe desselben, eine recht wichtige, aber doch nicht die wichtigste. Sie hat ihren Anspruch auf eigene Kultur aufgegeben; an die Stelle des Absoluten ist das Relative getreten; in ihrem Streben nach dem Voll­kommenen will die bewegte Jugend nur der großen Volksgemeinschaft dienen und in ihr der Menschheit. So leben doch die alten Ideale weiter, nur münden sie in das große Ganze. Die jungen Menschen haben erfahren, daß ihre Sehnsucht die Sehnsucht der Menschheit über­haupt ist und in jeden: höheren Leben sich an die Ober­fläche drängt. Sie haben erkannt, daß ihre Ideale Pfropf- reifer sind, die man schon immer dem alten Menschi- heitsbaume aufzusetzen versucht hat, und daß Kraft ano Saft diesen Propfreisern von dem Baume selber Zu­strömen müssen. Und mit ihren alten Idealen bewahrt sich die Jugend die im ersten Ungestüm der Bewegung geschaffenen Lebensformen, wie Wandern. Lagerleben. Ju^

gendtrefsen. Sport und Feuer, bewahrt sich die Freiheit ihrer Bünde mit all ihren Ausdruckssormen. So ist denn trotz allem die Zeit der Gärung nicht umsonst ge­wesen. Sie hat der Jugend den Blick gegeben für das. was alt und morsch, den kritischen Maßstab für das. was lebenswert, und das, was lebensunwert ist. Aus ihr stammt die Absage an alles, was nur Konvention und leerer Schein ist. Im Leben ihrer Bünde, in der Ge> mcinschast mit Gleichgerichteten erwächst unseren jungen Menschen immer wieder neuer Mut zu frischem Streben, und neue Kraft lernt Verzagtheit und Müdigkeit über, winden/

Und die jüdische Jugend? Fühlt auch sie die Krise der Kultur, und reißt der allgemeine Strom auch sie mit fort? Stellt auch sie sich den Formen eines in Zivils sation erstarrten Lebens entgegen und treibt zum offenen Widerspruch gegen alles Bestehende? Die jüdische Ju­gend ist in einer besonderen Situation; wohl greifen die Wellen der Jugendbewegung auch aus sie über, aber die treibenden Kräfte sind doch von anderer Farbe und stammen zum Teil aus anderen Tiefen als dort. Die allgemeine Jugendbewegung hat ihren Ursprung ausschließlich in der Großstadt; sie ist ein stürmischer Protest gegen das lc- bcnsfcindtiche und lebenshenunende Element der unheim­lich anwachsenden Stadt, in der sie den stärksten Faktor für die Mechanisierung des Lebens erblickt. Gegen diese richtet sich in erster Linie ihre Kampfstellung. In der jüdischen Jugend klingt dieser Widerspruch nicht in der gleichen In­tensität an. Jüdische Jugend bewahrt .sich der Groß­stadt gegenüber das Maßvolle ihres Urteils. Sie ist sich nur zu gut bewußt, was sie der Großstadt ver. dankt. In ihrer freien Luft erwuchs ihrer Gemeinschaft das Recht auf ihre bürgerliche Freiheit und damit die Möglichkeit eines menschenwürdigen Daseins. Ihr fluten­des Leben duldete nicht die Zurücksetzung vergangener Jahrhunderte und machte den scheuen, unsicheren Ghetto- juden zum freien, selbstbewußten Bürger. Mit ihrer Ent­wicklung schuf sie die notwendigen Voraussetzungen für die Entfaltung der Energie und des starken Lebensdranges des jüdischen Menschen. An dem reisen Geistesleben der Großstadt rührte sich der Geist der jüdischen Gemeinschaft und wurde Sprosse für Sprosse hinausgesührt zur Höhe wissenschaftlichen Strebens und Tuns. (Daß freilich dieser Geist trotz der langen Zeiten der Verfolgung und un­menschlichen 'Druckes sich seine Empfänglichkeit und Elasti­zität in einem solchen erstaunlichen Maße bewahrt hat. geht auf Quellen anderer Art zurück.) Das alles erkennt die jüdische Jugend, und diese Erkenntnis bewahrt sie der Großstadt gegenüber vor allzu schroffem Urteile. Trotz allem bleib: diese für sie das lockende Ziel ihrer Sehn­sucht. und der Zug zu ihr hin bleibt in seiner beharrenden Kraft bestehen. Wenn aber dennoch der Geist der all­gemeinen Jugendbewegung auch sie durchdringt, so wird er hier, wenigstens so weit es sich um die nichtzionistische Jugend handelt, weniger von den Eindrücken des eigenen Lebens genährt als vielmehr von £em lebendigen Strome, der von Jugend zu Jugend geht. Dieser Geist findet der Großstadt gegenüber seine Auswirkung in einer er­höhten Wachsamkeit ihren Schäden gegenüber und in' einer stärkeren Betonung des Körpcrgesühls.

Aber vom Meißner herüber schlägt noch ein anderer Ton in der jüdischen Jugend an und läßt sie gespannt aushorchen. Die deutsche Sage erzählt von einem der großen Kaiser, daß er verzaubert in einem Berge schlafe und alle hundert Jahre einen Knaben hinaussthicke. der Nachsehen müsse, ob die Nacht zu Ende sei. Einen ähn­lichen Gedanken spricht unser herrlicher Jesajah aus: ..Mir