Seite 2 Jüdische Schulzeitung. Nummer -t
großen Führer und Propheten und die. sich verlängernd, sich als das Rückgrat alles geschichtlichen 'Geschehens erweist. das die Menschheit vorwärts bringt.
Die große Linie deS Judentums! Das Wort bedarf einer näheren Erklärung, um seinen Inhalt ganz zu erfassen. In feinen Reden über das Judentum spricht Martin Buber von einem relativen und einem absoluten Leben eines Volkes. Jedes Volk lebt nach ihm zu gleicher Zeit ein zweifaches Leben: das relative der Erdentagc. der kommenden und schwindenden Geschlechter, und das absolute. das Bleibende in der Welt des wandernden und suchenden Erdgeistes. In dem relativen sieht Buber nur den Träger des absoluten Lebens. Nicht das. was uns den kleinen Nntzzwccken des Lebens dienstbar macht, was uns in das Gewühl und Gewimmel der Tage hin- einsührt, kann das Entscheidende und Werttragende eines Menschen und noch weniger eines Volkes sein. Nicht in diesen Dingen dürfen wir suchen, was einem Volke ein 'Recht auf sein Dasein gibt' aber wir finden dieses in seinem absoluten Leben, in seinem Unbedingten, in seiner Freiheit von den Zweckgetrieben der menschlichen Gesellschaft. Jedes Volk hat seine ihm eigentümlichen Gaben. die es im Laufe der Geschichte zur Entfaltung und Auswirkung bringt, die sowohl eine vulgäre als auch eine erhabene Seite zeigen, jene sich, im Zweckleben um das bloße Sein, diese sich in den großen leuchtenden Linien seines geistigen Seins offenbarend. Buber findet, daß gerade im jüdischen Volke die konstante Erzeugung eines absoluten Lebens, dieser geistige Prozeß des Volkstums so sichtbar und deutlich in die Erscheinung trete wie bei keiner anderen Gemeinschaft. Aus seinem relativen Leben mit seinem Gewimmel von Zwecken. Hast, Sucht und Pein erheben sich strahlend und riesengroß seine Ziele und schreiben ihre unzerstörbaren Zeichen an den Himmel der Ewigkeit. Drei Ideen nennt Buber als die tragenden des Judentums: die Idee der Einheit, die der Tat und die der Zukunft. Ihnen dienen in ihrer Wendung zum Absoluten hin die großen Führer des Judentums. seine Propheten, die in gewaltigen, seelenerschüt'- ternden Worten die Unbedingtheit der Tat forderten, die aus sich selbst gestellte Sittlichkeit; ihr dienten, bewußt oder unbewußt, alle Geister, die, jüdischem Stamme entsprössen/ an der Gegenwart der Menschheit nicht ihr Genüge fanden und mit allen ihren Kräften sich für eine bessere Zukunft ein setzten. In diesen drei führenden Gedanken offenbaren sich nach Buber die weltgeschichtlichen und zukunftwirkenden Ideen des Judentums, und sie manifestieren sich in dem einen Gotte, in der Gestalt des Messias, des Trägers der Zukunft, und in der Israels, des um seine Tat ringenden Menschen.
Buber begreift eine Erneuerung des Judentums nur in der Erneuerung feines Geistes. Sein absolutes Leben muß wieder zur Wirklichkeit, seine Träger müssen aus Zweckmenschen wieder Zielmenschen werden. Das Bewußtsein von den unsterblichen und für die Menschheit so notwendigen Kräften des Judentums muß neu entstehen. Relatives und absolutes Leben müssen zusammen- sallen. und keine Kluft darf sich zwischen ihnen öffnen. Es darf nicht sein, daß das. was für das absolute Leben der Gipfel und das Höchste war. vom relativen gar nicht oder fast gar nicht wahrgenommen wird oder ihm besten Falles eine bald vcrge.fsene Episode ist.
Mit diesen Ausführungen Bubers dürfte uns der Begriff der „großen Linie des Judentums" zur klaren Auffassung gekommen sein. In den Ideen erkennen wir die Zielpunkte deS jüdischen 'Lebens, und der grade Weg zu ihnen hin. unter Ausschaltung alles dessen, was uns
von der Verwirklichung dieser Ziele ablenkt, das ist eben die große Linie des Judentums.
Die Ausweisung dieser großen Linie des Judentuurs haben wir nls die Aufgabe herauSgestellt, die des Lehrers harrt, wenn die Jugend mit ihrer Bereitschaft zum jüdischen Leben und ihrem Erkenntnisdrang vor ihn hintritt. Wemr wir uns aber an Buber wandten, wo es sich in theoretischen Gedankengängen um die Aufhellung noch dunkler Begriffe handelte, so vermögen wir ihm doch nicht zu folgen, wo die praktische Nutzanwendung seiner Darlegungen für unsere Arbeit in Frage kommt. Hier müssen wir andere Wege einschlagen. Buber schält seine Ideen aus den gegebenen psychischen Bedingtheiten des jüdischen Menschen heraus; er wendet ein induktives Verfahren all und kommt von der Anschauung der Tatsachen zur Abstraktion seiner Schlußfolgerungen. Dieses Verfahren hat das Bedenkliche, das übrigens Buber in seiner Vorrede zu der Gesamtausgabe seiner Reden über das. Judentum selber anerkennt, daß der eine Gott als Produkt deS jüdischen Denkens erscheint, als bloße Fiktion, als ein Geschöpf von des Menschen Gnaden, das. so wie es sein Dasein der bloßen Vernunft verdankt, von dieser auch wieder in das Nichts zurück- geworfen werden kann. Nicht Gott erscheint nach dieser Methode als das Absolute, sondern der Mensch, aber indem wir diesem eine solche Machtstellung einräumen, bringen wir Gefahren herauf, die wir bannen wollten. Wir wählen deshalb einen anderen Weg. und mit dem anderen Verfahren ergeben sich uns auch zum Teil andere Ideen als die grundlegenden des Judentums. Diese werden nicht mit den von Buber herausgeschältcn im Widerspruch stehen, nur halten wir sie für die ursprünglicheren. während jene als die abgeleiteten an- zusprechen smd. Als solche das Fundament des Judentums tragenden Ideen sehen wir die deS einen Gottes und die des im göttlichen Ebenbilde geschaffenen Menschen an. aus der ohne weiteres die der Menschheit herauswächst. Alle anderen Ideen, soweit solche für unseren Zweck in Frage kommen, lassen sich ohne Schwierigkeit auf diese zarücksühren.
Was mm den Weg anbetrisst, den wir zur Airs- schließung dieser Ideen einschlagen wollen, so wählen wir eine bereits breit gefahrene Straße, die aber dadurch an Sicherheit der Zielsührung nichts eingebüßt hat: wir greifen zur Bibel. Nicht allein daß wir damit von vornherein der Verabsolutierung des Menschen Vorbeugen. fonbcru auch schon deshalb, weil die Bibel die von uns bezeichneten Grundideen in einer solch lebendig- anschaulichen Art herausstellt, daß es scheint, als ob es ihr darum zu tun sei. mit aller Eindringlichkeit unseren Geist auf sie hinzulenken. Wir schlagen die erste Seite auf und lesen von dem einen Gotte, dem Schöpfer des Alls, und seiner Schöpfung, mtb wenn wir einige Kapitel weiter von der göttlichen Ebenbildlichkeit des Menschen erfahren, so ist uns Kern und Wesen des Judentums gegeben, und es bleibt uns nur als weitere Aufgabe. diese Ideen sowohl als die leitenden Gedanken aller wesentlichen Vorschriften und Institutionen des Judentums als auch als die treibende Kraft im Wirken und Schassen seiner großen Führer nachzuweisen.
Eine ausführliche Darstellung dessen, was mir hier vorfchwebt. kann ich mir im Kreise von Berufsgenossen ersparen. Gedanken dieser Art sind schon oft ausgesprochen worden, und das Bild der Arbeit ergibt sich aus dem Gesagten von selbst. Alles was das Judentum um- saßt, Lehre und Leben, Pflicht und Gebot. Dienst am Göttlichen und Dienst am Menschlichen. Dienst am