14. lahrgang Yerlagsort: Mannheim 2 Nummer 8

jüdisehe Schulzeitung

Monatsschrift für Erziehung, Unterricht und Schulpolitik

Organ des Reichsverbandes der jüdischen Lehrervereine (Geschäftsstelle des Verbandes: Berlin C 25, Kaiserstraße 29)

DieJüdische Schulzeitung" er­scheint am 1. eines jeden Monats Postbezugspreis: 0.75 pro Quartal.

Mannheim, den 1. August 1938

Druck and Verlag' Gebrüder Neubauer, Ludwigshafen a. Ri.

Redakteur: Dr. S i eg fr i e d Br aun K ö 1 n-S ü 12, Unkelerstraße 17

Chasak!

S. B. In diesen Tagen wird wiederum eines der fünf Bü­cher der Tora zu Ende gelesen. Wenn der Scheliach zibbur das letzte Wort vorgetragen hat, rauscht ein seltsam erregen­des Gemurmel durch den Raum, und das Chasak wenischasak der Gemeinde schält sich, vom Chasan mit erhobener Stimme wiederholt, wie ein aufrüttelnder Zuruf aus dem Chaos der Töne heraus. Es ist, als packe ein Bruder den andern beim Arm und verpflichte ihn, sich aufs äußerste zusammenzurei­ßen, sich mit Kraft und Zuversicht zu wappnen, auf daß jeder Kampf der kommenden Tage bestanden werde. Main muß die Situation kennen, in der der Anruf Chasak wenischasak einst geprägt wurde, um zu ermessen, mit welcher Urgewalt er in ein Menschenohr eindrang. Davids Scharen sehen sich einer Uebermacht von Feinden gegenüber. Der umsichtige Feldherr Joab bereitet den Kampf vor und übergibt seinem Bruder Abischai den Befehl über einen Teil des Heeres. Während der Befehlsübermittelung spricht er die Worte:Chasak wenischa­sak bead ameinu uwead orej elauheinu . . .'* Und wenn es die Schrift auch nicht berichtet, so dürfen wir doch annehmen, daß diese Parole weitergegeben wurde von Mund zu Mund und ihre Wirkung nicht verfehlt hat.

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Wer in den letzten Monaten das Stimmungsbarometer unserer jüdischen Gemeinschaft beobachtet hat, der wird die heftigen Schwankungen bemerkt haben, denen die psychische Haltung aller ausgesetzt gewesen ist. Die Gestaltung unseres Schicksals im engeren und weiteren Bereiche hat aller- schwerste Sorgen auf uns gelegt. Der Sturm, der unsere große Hoffnung Erez Israel zu vernichten droht, hat sie um ein Be­trächtliches vermehrt. DerAbschied für immer'' mit den von ihm. ausgelösten Gemütsbewegungen erwies seine lähmende Wirkung in jedem jüdischen Hause. Trüge nicht das Schicksal zuweilen Stimmen zu uns hin, die uns kündenjesch tikwah!" Chasak wenischasak!", so wäre kein Ende abzusehen der Trostlosigkeit. Derartige Stimmen bringt uns die Post mit den Briefen unserer Lieben aus weiter Ferne. Ist auch der Kampf ums Leben draußen schwer, so wird er doch mit Beharrlich­keit und»unter Entsagungen mannigfacher Art geführt. Die Art, wie die Jüngern und Aeltern sich dem harten Werk der Neu­gründung einer Existenz stellen, stärkt in uns das Bewußtsein, daß sie die körperliche und seelische Widerstandskraft sich zu erhalten gewußt haben. Wie schwierig das in Zeiten der Hochspannung ist, das zeigen uns die Ereignisse in Erez Is­rael mit aller Eindringlichkeit. Viele Monate hindurch hat der Jischüw in seiner Gesamtheit ein bewundernswertes Maß von Selbstzucht an den Tag gelegt. Die hart arbeitenden jüdischen Menschen, die nichts mehr ersehnen als den Frieden im Land, haben Tag für Tag mit angesehen, wie das Mordwerkzeug Schwestern und Brüder dahinraffte und wie der Feuerbrand den Fleiß ihrer Hände zunichte machte. Sie hielten sich fern von Vergeltung bis in diese Wochen hinein. Was dann zuletzt sich ereignet hat, das war ein verhängnisvoller Erweis des

psychologischen Gesetzes von der Maximalfassungskraft an erregenden Eindrücken.Est modus in rebus, sunt certi de- nique fines!" Möchte unsere Hoffnung nicht zuschanden wer­den! Kehre endlich Besonnenheit und Verständigungsbereit­schaft in allen Kreisen der Bevölkerung Palästinas ein, damit das jüdische Volk sein Aufbauwerk in Ruhe und Frieden wei­terführen kann!

Ein kräftiger Ruf Chasak wenischasak drang zu uns aus Evian. Mehr als 30 Staaten hatten der Anregung des Präsiden­ten Roosevelt Folge gegeben und waren in diesem kleinen, uns bisher unbekannt gebliebenem Badeplatz am Genfer See zu­sammengekommen, um der Not der Juden Mitteleuropas Lin­derung zu verschaffen. Es hat selten einen Namen gegeben, der in so kurzer Frist einen solchen Klang der Vertrautheit angenommen hätte wie der Name Evian. In hoher Spannung sahen wir alle der Eröffnung der Staatenkönferenz entgegen. Und mit aller- Aufmerksamkeit lasen wir die Berichte über ihren Verlauf. War's uns doch, als zeige sich endlich der Sil­berstreifen am Horizont, und als beginne mit Evian die Wen­dung unserer Geschichte in notreicher Zeit. Wenn dieses Mal in unsern Synagogen das Chasak wenischasak die betenden Gemeinden aufhorchen lassen wird, dann werden in London die Männer wiederum zusammentreten, die in Evian das Ge­spräch über die Möglichkeiten der Einwanderung von Juden in ihre Länder begonnen haben. Sie werden, so wollen wir hof­fen, ihre Bemühungen ins Positive hineinmünden lassen, auf daß Hilfe komme bead ameinu.

Es ist klar, daß die jüdische Lehrerschaft in besonderer Weise zu den Dingen steht, die sich innerhalb der Judenheit ereignen. Ist es doch der Sinn ihrer Arbeit, aufzubauen, auf daß eine Generation heranwachse, die dem Schicksal standzu­halten vermag. Die Zeit hat es mit sich gebracht, daß der Auf­gabenbereich des jüdischen Lehrers sehr bedeutsame Modifika­tionen erfahren hat. Es ist sicherlich in früheren Jahren viel leichter gewesen, zu erziehen und zu lehren, weil der An­regungen in Fülle aus der Umwelt herkamen. Heute bildet die jüdische Schule eine eigene, festumgrenzte Provinz, in der nur die Ideen zielgebend sind, die aus der jüdischen Sphäre herkommen. Da heißt es immer wieder umlernen, wachblei­ben und beweglichen Geistes. So hat es sich gefügt, daß eine außerordentlich vielseitige und lebendige pädagogische Arbeit innerhalb der jüdischen Schule getan wird. Aber es sei nicht verschwiegen, daß in letzter Zeit die Spannkraft nachzulassen scheint. Die Lehrerschaft ist in den Strudel der Auswanderung hineingeraten; einer nach dem andern verläßt seine Steile, um für immer fortzugehen; die Reihen lichten sich rasch, und die Zurückbleibenden beschleicht gar leicht das Gefühl der Sinn­losigkeit ihres Ausharrens. Hinzu kommt der rasche Schüler-

. schwund und die fortschreitende Auflösung der Gemeinden, in denen der Lehrer zugleich auch Seelsorger ist. Es gehört schon viel innere Festigkeit und ein hohes Maß von Zuversicht dazu.

kden Mut nicht zu verlieren, sondern unentwegt und in gewohn-