Zur Religionsphilosophie der Gegenwart 1 .

IV. Religiöse Erfahrung: Wundt, James, Otto, Scholz.

Von Albert Lewkowitz in Breslau.

Im Gegensatz zur naturalistischen Nivellierung von Wesen und Sinn des Lebens erhob sich die Philosophie der Gegenwart. Der Widerspruch gegen die Maschinentheorie der Welt gibt dem Geistesleben unserer Zeit seine Spannung und ein״ heitliche Grundrichtung in aller Verschiedenheit seiner besonderen Ausprägung. Nicht Wille zum Dasein, sondern Wille zur Macht, nicht Ueber]eben des Passenden, sondern schöpferische Entwicklung, nicht Zweckgebundenheit des Geistes, sondern Wendung zur Idee, so streiten Nietzsche, Be r g s o n , Simmel gegen den gemeinsamen Gegner. Cohen und Rickert erschüttern : e r ־ kenntnistheoretisch die Voraussetzungen des natura״ listischen Monismus in der Aufhellung der verschiedenen Struktur naturwissenschaftlicher, sittlicher und geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis. Eucken dringt zur metaphysischen Grundlage des Kulturlebens im schöpferischen Willen Gottes vor, erfaßt die Geistes tiefe des geschichtlichen Lebens der Menschheit und sein schöpferisches Werden. Troeltsch ringt um eine neue Einheit des Weltbildes, das Natur und Geist als lebendige Einheit zu erfassen, das Universum als göttliches Alleben im strömenden Reichtum seiner individuellen Gestaltungen intuitiv zu durchdringen strebt.

Vom Naturalismu s : zur Romantik stieg der Weg der Philosophie der Gegenwart und führte in immer tiefere Welten persönlichen Lebens. Leben, Freiheit, Geist, Gott werden erneut der Menschheit zu Wirklichkeiten, Religion zur tiefsten Lösung des Lebensräjsels. . Was ist Religion selbst, was ist ihr Wesen, worauf beruht ihre Wahrheit?

1. Wundt 2 .

ln einer Zeit, die noch ganz beherrscht war vom Ver- langen nach naturwissenschaftlicher Durchdringung aller Reiche 4er Wirklichkeit und in diesem Verlangen so ungestüm war, auch ־nur die Existenz eines Geistigen, das nicht Produkt der Materie sei, in Abrede zu stellen, wurde Wundt der Begründer einer Psychologie, 4ie die Unableitbarkeit des Geistigen aus dem Körperlichen zu ihrer Grundlage machte und die Erkenntnis der psychischen Phänomene als solcher als die Aufgabe der Psychologie feststellte.

a) Individualpsychologie. Selbst aber von der Naturwissenschaft zur Psychologie kommend, stand ihm das Kausalprinzip

1 Die Abhandlungen ״Zur Religionsphilosophie der Gegenwart sind; ;gleichzeitig als Buch unter dem Titel ״Religiöse Denker der Gegenwart** im Philo־Verlag (Berlin BW 68, Lindenstr. 13) erschienen,

2 Wundt: Grundriß der Psychologie; Völkerpsychologie; Sinnliche und über sinnliche Welt; System der Philosophie.

Monatsschrift, 67. Jahrgang

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