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Als ein wesentliches Schicksalsxnativ kam wohl hierbei die j üdische Seite seiner Erziehung und ganzen Lebensentwicklung zur Geltung. Seine ersten Gymnasialjahre verlebte er im Hause eines Rabbiners, wo er die Bibel in der Ursprache gründlich, kennen lernte und auch in den Talmud eingeführt wurde. Und im Hause des Nikolsburger Rabbiners Dr. Feuchtwang empfing er als junger Lehrer philosophische Anregungen, die für seine akademische Lauf- bahn bestimmend wurden. Namentlich in seinen späteren Jahren kehrte er mit der ihm eigenen Begeisterung zur Lektüre des bib- lischen Schrifttums zurück und beschäftigte sich besonders gerne auch mit den Grundgedanken der jüdischen Religionsphilosophie 1 .

: Aus seinem . Schicksal als Jude einer Uebergangszeit erklärt

sich nicht nur jene Beeinflussung durch utilaristische Oberflächlich״ keit, die ihn am philosophischen Pragmatismus sein Genügen finden ließ, sondern auch ein gesunder Realismus, der ihn im Solipsismus ein krankhaftes, gehirnzerstörendes Denkelement erkennen 2 und der ihn' schließlich, in der Verbesserung des sozialen Menschenwesens das Ziel der Philosophie erblicken lehrte.. Der Mystik ferne stehend, kommt er in der Synthese seiner Spekulation dennoch gleich dieser zu einer Tendenz, welche über den bloß denkerischen Sinn der Philo- sophie auf die Totalität des menschlichen Wesens abzielt. ,,Sie will, der ganzen Seele, gerecht werden, die sich nicht nur im Denken, sondern auch im Fühlen und im Wollen betätigt. Die Wissenschaft ist deshalb für die Philosophie nur ein Teil des Gesamtlebens/' So erlangt Jerusalems ganze philosophische Einstellung in dem Auf- blick zu einem religiösen Element ihren abschließenden Sinn.

Freilich beschränkte sich seine eigentliche Wirkung, wenn wir sie nur äußerlich nehmen, auf das Gebiet des Lehrens, obwohl seine Gedanken mehrfach aiif Lebensumgestaltung hinzielten und obwohl er an fast allen geistigen Zeiterscheinungen ,lebhaftesten Anteil nahm 3 . Auf pädagogischem Gebiete lag dies wohl am nächsten, doch ist das von der ganzen Begeisterung des Lehrers zeugende Ideal- bild des Mittelschullehrers, das er auf einem deutschösterreichischen Mittelschultag entwarf 4 , doch vor allem unterrichtlicher und weniger pädagogischer Art und eigentlich bis auf die Betonung des.sozialen Momentes der in seiner Art ja vortreffliche Ausdruck eines Ver- gange ah eit side als. Seine allgemeinen sozialenGedanken erfuhren wx>hl eine Aufrüttlimg durch den Weltkrieg, der ,,die glatten Geleise

1 Auch verfolgte er das Wachstum der hebräischen Bewegung mit lebhaftem Interesse. Bei *einer Begegnung kurz vo-r seinem Lebensende er- zählte er dem Schreiber dieser Zeilen von der neu erscheinenden Wissenschaft- liehen Revue in Jerusalem, an der er mit besonderer Freude mitarbeiten wollte. Eine große Befriedigung gewährte ihm auch die (erst nach seinem Tode im Druck erschienene) hebräische Uebersetzung seiner ,,Einleitung in die Philo- sophie von A. J. Schönbaum.

2 Siehe namentlich das Buch: Der kritische Idealismus und die reine Logik. Ein Ruf lm Streite, Wien 1905, worin der Kantische Kritizismus die originelle Deutung erfährt, daß auf dem tiefsten Untergründe unserer Seele eine Tätigkeit entfaltet wird, die all den auf uns einstürmenden Ein- drücken Form und Realität verleiht.

3 Siehe namentlich seine Essaysammlung: Gedanken und Denker. Wien-Leipzig 1905.

4 Die Aufgabe des Mittelschullehrers. Wien-Leipzig 1903.

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