Eine angeblich abundante Mischnah.
Zum 50. Todeslage Zacharias Frankels וצ״ל .
Von Adolf Sc'hwarz in Wien.
Daß die Frommen und Edlen im Tode an Größe zunehmen 1 , ist nicht allein eine religiöse Wahrheit, sondern auch eine geschieht- liehe Tatsache. Wer im Leben auf seine Kinder, auf seine Um- gebung, auf einen größeren oder kleineren Kreis versittlichend gewirkt hat, der wirkt auch nach seinem Ableben mittelbar durch die von ihm Veredelten auf viele und lange Generationen hinaus. Ein Lehrer, der zahlreiche Schüler ausgestellt hat, darf mit voller Bestimmtheit darauf rechnen, daß seine Worte, auch wenn er nicht mehr auf Erden weilt, ein vielfach sich wiederholendes Echo finden werden, und wenn zu seinem gesprochenen noch das geschriebene Wort hinzukam, daß auch seine unmittelbare Ein- und Fortwirkung nicht sobald aufhören werde. Die jüdische Geschichte kann auf eine stattliche Reihe von Männern *hinweisen, die, weil sie seit Jahr- hunderten direkt auf uns wirken, mit jeder neuen Generation über sich hinauswachsen. Ich will bloß einen der populärsten Namen, den Raschis nennen, und jeder Kundige wird mir beipflichten, wenn ich sage, daß er nach wie vor, weil der klarste, auch der erfolgreichste Talmudlehrer der ganzen Golah ist, und daß er mit jedem neuen Ge- schlecht um eine starke Kopfeslänge über sich hinauswächst. Darin hat auch die streng wissenschaftliche Talmudforschung keine Ver- änderung hervorgerufen; im Gegenteil, wer voraussetzungslos an das Talmudstudium herantritt, wer Gemara zuerst ohne Raschi lernt, der wird stets, je gerader, je logischer sein Denken ist, die eigene, selbständige Auffassung um so beglückter im Raschi-Kom- mentar wiederfinden. Und was noch weit wichtiger ist, der wissen- schaftliche Talmudforscher wird gerade durch Raschi mierschütter- lieh in der Ueberzeugung bestärkt, daß die Dialektik des Talmuds alles eher sei als haarspaltende Silbenstecherei. Ich sage nachdrucks- voll der wissenschaftliche und nicht der kritische Talmud- forscher, denn die Kritik setzt noch keine Wissenschaft, wohl aber setzt die Wissenschaft Kritik voraus. Kritik am Talmud, der ja selber die Mischnah kritisch behandelt, haben schon die Tossaphisten im Kleinen und Maimuni im Großen geübt. Aber der erste, der den Kern des Talmuds, die Mischnah, wissenschaftlich zu behandeln anfing, der erste, der die Wissenschaft des Judentums zur Grund- und Unterlage der Talmudforschung gemacht wissen wollte, der erste, der seinen Zeitgenossen die Ueberzeugung beizubringen suchte, daß man, um wissenschaftliche Talmudkritik treiben zu können, vor allem ein Talmudkenner im antiken Sinne des Wortes sein müsse, ; war kein anderer als der Begründer dieser Monatschrift, kein anderer •als der Verfasser des auf Jahrhunderte hinaus mustergiltig bleibenden Darche ha-Mischnah, kein anderer als
מרן מו״הר׳ זכריה פראנקעל זצ״ל _
1 Chullin 7b.
Monatsschrift, 69. Jahrgang. 5