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Entdeckung der grundsätzlichen Verschiedenheit des Denkens in den einzelnen Kulturkreisen, aber auch Jaspers Psychologie der Weltanschauungen hat methodisch auf ihn gewirkt. Und wenn sich naturgemäß das Interesse der christlichen Theologie dem Lebenswerk des Paulus vorzugsweise insoweit zuwendete, als es der Gegenwart nahe genug kommt, um auf sie wirken zu können, so hält sich Leisegang vor allem an das Fremde, um aus ihm Paulus Form zu gewinnen. Diese beruht darin, daß der Apostel in einer Weise, die Leisegang bereits bei den Orphikern, bei Heraklit und in der mystisch be- einflußten Philosophie findet, zweierlei Begriffsreihen gegenüberstellt und die Gegensätze beständig ineinander Umschlägen läßt. Aus dem Gegensatz dieser Denkweise zu der rationalen, an den Satz des Widprspruches gebundenen, erklärt sich sein flammender Haß gegen das Gesetz (S. 36), der Widerspruch der an die übliche Logik gebundenen Juden gegen seine Beweisführung (S. 37) und die Tatsache, daß Paulus nur in den hellenistischen Gemeinden wirken konnte, wo es Menschen gab, denen seine Denktechnik im Innersten vertraut war. Der Gegensatz des Paulus zum Judentum und Judenchristentum, viel- leicht auch zu Jesus, über dessen Denktechnik wir nichts Gewisses aussagen können (S. 39, 1), beruht also nicht auf einem Streit um Lehrmeinungen, sondern auf einer unüberbrückbaren Verschiedenheit der geistigen Struktur.

Die grundstürzenden Anschauungen dieses noch nicht drei Bogen füllen- den Schriftchens haben bei den Neutestamentlern starke, wenn auch ver- ständlicherweise nicht immer freundliche Beachtung gefunden. Der jüdische Leser wird zunächst zu bemerken haben, daß ihm in der Tat die Denkweise des Paulus an den von Leisegang herangezogenen Stellen durchaus fremd erscheint fremder als dem christlichen, dem diese Stellen von Jugend vertraut sind, daß sie ihn insbesondere in keiner Weise an die rabbinische Argumentationsmethode erinnert, im Gegensätze zu dem Jesus der Evangelien, dessen Denkweise uns auch da mühelos verständlich ist, wo wir seine Eschato- logie und ihre Konsequenzen als unjüdisch ablehnen. Darin haben Leise- gang und Wrede, auf den ersieh (S. 18, 1) beruft, recht: Paulus ,,denkt unter einem Gesetze, das für uns nicht gilt 46 . Dagegen bewegen sich die Einwände der Juden in den Evangelien, wie Leisegang betont, in Denkformen, die dem heutigen Menschen geläufig sind. Dennoch stellen uns Bücher, wie das von Leisegang, und namentlich Cassirers Untersuchung des Denkens der Primi- tiven vor die Notwendigkeit, feiner, als es seither geschehen ist, den verschie- denen Spielarten der Logik im Judentum nachzugehen und zu prüfen, ob nicht manche Konflikte im Mittelalter und in der Neuzeit, statt rein dog- matisch, aus tiefen Gegensätzen der Denkweise zu erklären sind.

I. Heinemann.

ספר יוחסין השלם יצא ראשונה ע״י צבי פיליפאווסקי מהדו"ה שניה עם מבוא הספד מאת אברהם זדים פריימאנן . Frankfurt a. M., 1924, M. A. Wahrmann. LI 4 ־ VIII 462 + 256 ־ SS. 8°.

Es ist stets freudig zu begrüßen, wenn Fortschritte der Technik in den Dienst der Wissenschaft gestellt werden, aber es bleibt doch zu wünschen, daß derartige Dinge nicht ohne Ueberlegung vorgenommen werden. Gegen- wärtig herrscht die Mode, ältere Drucke zu vervielfältigen; ob es aber einen Sinn hatte, das vorliegende Buch mit all den Mängeln der ersten, Ausgabe von 1857 zu verewigen, möchte ich stark bezweifeln. Alfred Freimanns be- währte, tüchtige Arbeitskraft hätte besser in den Dienst einer gründlichen Bearbeitung des Buches Juchasin gestellt werden und uns zu einer brauch- baren Ausgabe des alten Geschichtswerkes verhelfen sollen. Bei der. vor- liegenden Vervielfältigung hat er den Filipowskischen Text mit allen seinen Fehlern übernehmen müssen. Der Band enthält als Anhang auch die von Fili- powski gesondert herausgegebenen Schriften: die hebräische Uebersetzung von Josephus, gegen Apion, und seiner Beschreibung des Herodianischen Tempels und vom Sendschreiben des Gaon Scherira sowie den Brief Farizols über die 10 Stämme und ,,den Brief an Josua ben Nun, alles mit den Fehlern der ersten Ausgabe. Hinter seinem Vorwort hat Freimann (S. XXXVIIIL) in dankenswerter Weise die von Neubauer in der Festschrift für Moritz Stein- Schneider, S. h. 209 ff., veröffentlichte Fortsetzung des bei Filipowski fehlen- den Schlußkapitels des Juchasin abgedruckt. Zur Verbesserung des Textes gibt Freimann (S. XXIVXXVII) Bemerkungen von A. Neubauer, I. Loeb