Die Normierung des GlaubensiohaHs im Judentum.

Von Julius Güttrnaiin in Berlin.

In der lehrreichen und anregenden Diskussion, die Baeck und Schefteiowitz im vorigen Jahrgange dieser Monatsschrift über die Frage geführt haben, ob das überlieferte Judentum Dogmen besitzt, stehen beide Gelehrte insofern auf gemeinsamem Boden, als sie nur Glaubenssätze von allgemeinverbindlicher Geltung als Dogmen an- erkennen. Zum sachlichen Kern des Dogmenproblems wird damit die Frage, ob und in welcher Form das Judentum eine Normierung seines Glaubensinhaltes vollzogen hat- Darin liegt ohne Zweifel ein wesentlicher Schritt zur Klärung; des Problems. Daß das Judentum einen ihm eigentümlichen Glaubensinhalt besitzt, ist eine Selbst- Verständlichkeit, und nur der paradoxen These Mendelssohns gegen- über, das Judentum sei nicht sowohl eine offenbarte Religion als eine offenbarte Gesetzgebung, konnte es erforderlich erscheinen, das Selbstverständliche ausführlich zu beweisen. So wenig das Vor- handensein eigentümlicher jüdischer Glaubensvorstellungen ein. wirk- liches Problem darstellt, so sehr bedarf es der Untersuchung, in wieweit es im Judentum zu einer Fixierung und allgemeingültigen Festlegung dieser Vorstellungen gekommen ist. Die von Baeck mit Recht gerügte begriffliche Laxheit eines großen Teils der älteren Literatur, die keinen Unterschied zwischen Glaubensvorstellungen überhaupt und Dogmen kennt, hat dazu geführt, daß das wirkliche Problem zumeist unbeachtet geblieben ist.

Der trotz des gemeinsamen Ausgangspunktes zwischen Baeck und Schefteiowitz bestehende Gegensatz ist teils terminologischer, teils sachlicher Art. Terminologisch gehen sie trotz ihrer gemein- samen Grundanschauung in der Fassung des Dogmenbegrifis noch auseinander. Schefteiowitz begnügt sich mit dem Kriterium der allgemeinen Verbindlichkeit und definiert die Dogmen ,,als uiium- stößliche Glaubenslehren, von deren Anerkennung die Rechtgläu- bigkeit abhängt (M. S. 70, S. 66), Baeck hält diese Definition nicht nur formal für unvollständig, weil sie nicht erkennen läßt, welche Instanz bestimmten Glaubenslehren den Charakter der Unumstöß- lichkeit verleiht, sondern faßt den Dogmenbegriff im Anschluß an den Sprachgebrauch der christlichen Theologie auch inhaltlich we- sentlich enger (a.a. O. S. 232,33). Dabei aber scheinen mir beide Gelehrte den terminologischen Sachverhalt für wesentlich einfacher zu halten als er in Wirklichkeit ist. Was von einer Definition des Dogmenbegriffs zu verlangen ist, ist einmal, wie Baeck mit Recht hervorhebt, Ein- deutigkeit, sodann Uebereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch. Dieser aber scheint mir nicht so einheitlich zu sein wie Baeck annimmt. Ich halte es freilich nicht für angängig, sich, wie Schefteiowitz es tut (S. 433), auf die keine terminologische Be- stimmtheit beanspruchende gelegentliche Verwendung des Begriffs in der allgemeinen Religionswissenschaft zu berufen. Allein auch in der christlichen Theologie bestehen wesentliche Differenzen in der

Monatsschrift, 71. Jahrgang. t6