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Der größte Teil der Aufsätze zeigt Rosenheim als gewandten Anwalt seiner Anschauungen auf dem Gebiete der inner jüdischen und Palästinapolitik sowie als Werber und Kämpfer für Agudas Jisroel. Mit scharfer Logik werden die Probleme herausgearbeitet; es ist bemerkenswert, wie manche frühe Voraussagen Rosenheims z. B. hinsichtlich der Politik im heiligen Lande oder der Bestrebungen nach nationaler Autonomie im Osten sich bewahr- beitet haben. Daß öfters Einzelerscheinungen und Vorkommnisse sub specie aeterni betrachtet werden, wird von manchen als eine Ueberspannung und UeberbeWertung von Alltäglichem angesehen, von anderen ob der geschlossenen Weltanschauung bewundert werden. Rosenheim idealisiert in der Begeisterung für seine Sache die ihm nahestehenden Organisationen-und Persönlichkeiten und verschweigt milde ihre Schwächen; er spricht aber auch was ihn vor manchem Parteiführer aus zeichnet nicht selten, wenn auch unserer Meinung nach nicht oft genug, Anerkennung für positive Leistungen anderer Richtungen aus. Auch wer der Rosenheimschen Auffassung vom Judentum ablehnend gegenübersteht, wird dieses Werk mit Vorteil zur Hand nehmen; nicht nur weil er eine Weltanschauung formvollendet und klar dargelegt findet, sondern wegen der klärenden, vom Parteistandpunkte unabhängigen Würdigung so mancher Begriffe und Schlagworte, wie etwa ,,Politik 6 , ,,Organisation 66 , und der auf Kenntnis von Land und Leuten beruhenden Urteile über die einzelnen Landsmannschaften der zeitgenössischen Judenheit.

Die beiden 900 Seiten starken, vorzüglich ausgestatteten Bände sind ein Werk von dauerndem Wert. M ״ י.״ llm1

Die Berufe der preußischen Juden bis zum Jahre 1853.

Die Urzelle des preußischen Staates war die Mark Brandenburg, in der die Juden ein wechselvolles Leben führten. Zweimal wurden sie aus der Mark Brandenburg vertrieben, das erste Mal unter der Regierung des Kurfürsten Joachim im Anfang des 16. Jahrhunderts und dann 60 Jahre später wiederum durch den Kurfürsten Johann Georg; den Verbannungen gingen grausame Prozesse mit unsinnigen Beschuldigungen gegen die Juden voraus, die zu Verbrennungen auf dem Scheiterhaufen und Hinrichtungen führten. Als im Jahre 1669 die Juden aus Oesterreich vertrieben worden waren, gestattete der Große Kurfürst im Jahre 1671 einem halben Hundert jüdischer Familien die Niederlassung in der Mark. Viele von diesen wählten Berlin zu ihrem Aufenthaltsort und begannen sich hier in der Judengasse oder auch vor den Toren, denn in der übrigen Stadt durften sie nicht wohnen, einzurichten. Diese Beschränkung in der Niederlassung zeigt schon die Stellung der Juden in der Gesamtbevölkerung, und sie hat sich nicht wesentlich verändert in dem Königreich Preußen selbst unter Regierung Friedrich des Großen. Im grellen Widerspruch zu dem Bestreben dieses bedeutsamen Monarchen, die Aufklärung und religiöse Toleranz in Preußen zur Herrschaft zu bringen, steht seine große Abneigung, welche er bei allen Gelegenheiten gegen die Juden zur Schau trug*. Die Juden blieben unter seiner Regierung die Parias der Gesellschaft: ausgeschlossen von den meisten bürgerlichen Rechten und be- lastet mit schweren, ungerechtfertigten Abgaben. Friedrichs Widerwille gegen die Juden war so groß, daß er nur höchst ungern eine Vermehrung derselben sah und jede Gelegenheit benutzte, um die ausgegebenen Schutzbriefe wieder einzuziehen. In ihrem Gewerbe wurden die Juden außerordentlich beschränkt. Alle zünftigen Gewerbe, der Landbau, der Handel mit Wolle und Wollwaren usw. wurde ihnen strenge untersagt, Landgüter durften sie gar nicht erwerben, der Besitz von Häusern wurde ihnen nur in einer beschränkten Zahl gestattet. Diese Freiheitsschranken sollte das Edikt von 1812 niederwerfen. Die bisher im preußischen Staate heimisch gewesenen Juden sollten fortan als preußische Staatsbürger anerkannt werden, sie erhielten, wie sie gleiche Lasten mit den übrigen Bürgern tragen mußten, auch gleiche Rechte. Aber Jahrzehnte sind darüber hinweggegangen, ehe die Verwirklichung der Gleichstellung tatsächlich durchgeführt wurde und große politische Parteien der Gegenwart verfolgen offen und frei das Programm, die Stellung der Juden in Preußen-Deutschland zu untergraben und die Zustände früherer Jahrhunderte wieder aufleben zu lassen.