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Max FreudenthaL
such nimmt das jüdische Mittelalter wieder auf. Manche grie« chische Begriffe gewinnen sogar auf jüdischem Boden volleres Leben als in der geistigen Heimat; mit Gematria und Notarikon hat es der Jude viel ernster genommen als der Hellene, d.em er Wort und Begriff verdankte; bisweilen erfahren jüdische Ideen durch den griechischen Einfluß eine gewisse Verstärkung, wie etwa der Monotheismus durch die Monadologie des Neuplatonis- mus und durch die Gottesbeweise der griechischen Philosophen. Aber noch stärker als in Rom macht sich im jüdischen Denken die Kluft zwischen Metaphysik und lebendiger Religion geltend; die großen Harmonisten ringen wohl nach einer Synthese; aber ihr Versuch überzeugt nicht durchweg; manche verwerfen daher die Wissenschaft dem Judentum zu Liebe, manche opfern ihr die Festigkeit des Glaubens; am tiefsten erscheint die Lösung der Männer wie Jehuda, Halevi und Crescas, die an der wissen״ schaftlichen Methode festhalten, aber den Gegensatz griechischer und jüdischer Art erkennen und das Recht des Judentums methodisch zu erweisen suchen.
R. Michel Chasid und die Sabbatianer.
Von Max Freudenthal.
Über der Geschichte der Berliner Rabbiner liegt trotz der ausgezeichneten Darstellung, die E. M. Landshuth ihnen gegeben 1 , noch reichliches Dunkel, das weiterer Aufhellung bedarf. Die Quellen fließen sehr spärlich, jeder neue Fund ist wertvoll. Dies gilt ganz besonders für die Geschichte der ersten Inhaber des Berliner Rabbinats.
Der nachstehende Beitrag zur Geschichte des R. Michel Chasid, der 1714—1728 das Berliner Rabbinat bekleidete, be- deutet einen solchen Fund, den ein glücklicher Zufall herbeiführte. Er entstammt dem Staatsarchiv in Nürnberg 2 und lagerte unter Papieren des Landschreibers Abraham Wolf zu Gunzen ־ hausen, welche der Markgraf von Ansbach Carl Wilhelm Friedrich 1739 konfiszieren ließ. Er glaubte in der Kor-
1 תולדות אנשי השם ופעולתם בעדת בערלין , Berlin 1884. Ueber R. Michel Chasid das. S. 11 ff.
2 Ansbacher Historica, Rep. 110, No-■ 109.