Beiträge zum Fall Mortara (1858).

Von Josef Meisl.

Ähnlich wie die Damaskus-Sache 1 hat auch das Schicksal des heimlich getauften und seinen Eltern mit Gewalt entrissenen Edgar Mortara die Judenheit der ganzen Welt־ zu Protestaktionen veranlaßt und die internationale Diplomatie beschäftigt 2 . Aller- dings besteht zwischen beiden Vorfällen ein wesentlicher Unter- schied. Während die Gegenaktion in der Damaskus-Affäre, in der es sich um das Leben unschuldiger Menschen handelte, letzten Endes nach Überwindung von Schwierigkeiten und Zerstörung eines Lügen- und Intrigennetzes von Erfolg gekrönt war, waren in dem Falle Mortara einer erfolgreichen Intervention der Diplomatie dadurch, daß es sich vor allem um eine dogmatische Frage und infolgedessen um die Behauptung der Autorität der Kirche handelte, von vornherein Schranken gesetzt. Die Frage der Gültigkeit der Taufe war das Thema, das zur Erörterung stand. Die kanoni- sehen Gesetze erfordern bei Taufen von Judenkindem durch Laien die sofortige Anzeige an die zuständige geistliche Behörde. Diese hatte aber erst sechs Jahre nach der Taufe des Edgar Mortara hiervon Kenntnis erhalten. Der Erzbischof von Bologna erklärte

1 Vgl. meinen Beitrag in der Festschrift zu S. Dubnows 70. Geburtstag, 1930, S. 226236.

2 Literatur zum Fall Mortara. Die zeitgen. jüd. Presse, in deutscher Sprache, insbesondere die Allg. Ztg. d. Judentums (AZJ), in italienischer Sprache LEducatore Israelita VI; Archiyes Israelites 1858; Dictionaire Apologetique de la foi Catholique s. v.; Gennari, II governo Pontificio e 10 Stato Romano, 1858; Der kleine Neophyt Edgar Mortara, Würzburg 1859 (Übersetzung einer Abhandlung aus der ,,Civiltä Cattolica, sehr wichtig für die dogmatische Seite des Falles)'; Friedrich Albrecht, Der gewaltsame Kinderraub zu Bologna. Zugleich ein Wort der Warnung an alle Concor- datsfreunde, Ulm 1858; Delacouture, Roma e la opinione pubblica d״Europa nel fatto Mortara Atti, documenti, confutazioni, Turin, 1859; Pro- ceedings in delation to tlie Mortara abduction S. Franzisko 1859; Diaries. of Sir Moses and Lady Montefiore, hrsg. von Dr. L. Loewe, London *1890, Bd. II, S. 82 ff.; Vogelstein-Rieger, Geschichte der Juden in Rom, 1895/96, II, S. 382; Berliner, Geschichte der Juden in Rom, Frankf. a. M. 1893, II, S. 153; Israel Zebi Kohn, Zur Geschichte der jüdischen Tartüffe, Leipzig 1864, S. 42 ff.; Gelber, Aus zwei Jahrhunderten, Wien-Leipzig 1924, S. 169 ff.

Monatsschrift 77 Jahrgang 2 t