Recensionen und Anzeigen״
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nig der, man möchte fast sagen, systematischen Bedrückung in Deutschland. Als hätten die Deutschen ihre Gründlichkeit und eonsequente Ausführung eines Princips auch an den Juden he- thätigen wollen. Daher sind die mittelalterlichen Chroniken 'voll von Judengeschichten, und jedes neu eröffnete städtische Archiv liefert neues Material. Wenn man jenes Wort: dass das glücklichste Land dasjenige sei, von welchem man am we- nigsten spricht, auf die deutschen Juden iin Mittelalter anwen- det, so würde sich schon daraus im Allgemeinen ergeben, dass sie nicht zu den Glücklichen gehört haben. Denn es wird sehr viel, viel zu viel von ihnen gesprochen und berichtet. Der Stoff zur Geschichte der deutschen Juden ist daher so sehr ange- häuft, dass eine herkulische Arbeitskraft dazu erforderlich ist, ihn zu bewältigen. Er ist aber andererseits so reizlos, so mono- ton, so baar jedes tragisch-poetischen Schmelzes, dass eine be- sondere Hingebung dazu gehört, ihn in Behandlung zu nehmen und in diesem trübseligen chaotischen Einerlei noch feine Unter- schiede oder vielmehr eine genetische Entwickelung zu ent- decken.
Diese Kraft, dieses feine Orientirungsvermögen, sich in einem Labyrinth nicht nur zurechtzufinden, sondern auch Nachfolgern die verschlungenen Wege zu zeigen und sie ihnen bequem zu machen, und diesen logisch-kritischen Sinn hat der Verfasser in dem augezeigten Werke in einem eminenten Grade bewährt. Er hat diese Partie der Geschichte aus einem Gon- glomerat in brauchbares, geordnetes Material verwandelt und ihr die Ebenbürtigkeit verliehen, in die Universalgeschichte ein- gereiht zu werden. Der Verfasser hat selbst dem Fachmann, dem das Material zu Gebote steht, neue Seiten und Gesichts- punkte gezeigt. Es ist eine echt deutsche Arbeit, Gründlichkeit mit Klarheit gepaart. Wenn man die Leistungen Stobbe’s recht würdigen will, so muss man sie mit der Arbeit eines Franzosen Bedaride vergleichen, welcher die Notizen zur Geschichte der Juden in Frankreich zusammengetragen, d. h. ohne Verstand- niss des Zusammenhanges zusammengestoppelt hat. Indessen befriedigt die Stobbe’sche Schrift nicht bloss Fachmänner, son- dem es ist eine interessante Lectüre für gebildete Kreise, die sich einmal darüber belehren wollen, wie es in der guten alten Zeit mit Recht und Gerechtigkeit in Deutschland ausgesehen