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Besprechungen.

die folgende Mitteilung, die ich einem verstorbenen Freunde verdanke. Die gleichfalls verstorbene Baronin Bettina v. Rothschild machte in ihrer Loge in der Wiener Hofoper einem noch nicht verstorbenen christlichen Aristokraten, der ihr seine Aufwartung machte, Vorwürfe wegen seiner Hinneigung zu den Antisemiten, worauf dieser scherzhaft entgegnete: »Mais Madame, il faut quon fasse carriere.« Der Scherz ist bitterer Ernst. In Wien war der Antisemitismus das Sprungbrett zu den höchsten Würden. Dem deutschen Volke gereicht es zur Ehre, daß es »die Schmach des Jahrhunderts« nicht so weit hat kommen lassen. Wenn es, nachdem es mit seinen äußeren Feinden fertig geworden, auch dieses innere »Düppel« des Antisemitismus beseitigt haben wird, so wird es fast mehr noch als des ersteren Erfolges, des letzteren sich rühmen können. Das ist auch die berechtigte Hoffnung der deutschen Juden und die wahre »Lösung der Judenfrage im Deutschen Reiche«. Herr v. Trützschler braucht deshalb wegen der deutschen Juden nicht besorgt zu sein. Wenn sie es abgewartet haben, daß sie nicht mehr verbrannt oder vertrieben werden, können sie es auch abwarten, bis ein Jude aktiver Offizier oder gar Minister wird. In Ungarn ist jetzt ein Jude Justizministerl Quam multa fieri non posse, priusquam facta sunt, judicantur! Eher kann sich Herr v. T. darüber Sorge machen, was die Folge sein würde, wenn sein gut gemeinter Vorschlag zur Lösung der Judenfrage im Deutschen Reiche, nämlich die Gesamttaufe der Deutschen Juden, angenommen würde. Ich fürchte sehr, daß in diesem Falle mit dem Judentum auch das Christentum aufhören würde. Denn für sehr viele Christen sind die Juden die notwendige Folie ihres Glaubens. Ihr Christentum besteht in dem Bewußtsein, daß sie keine Juden sind und nicht zu den Verworfenen gehören, ganz zu ge- schweigen von den gewiß nicht Wenigen, bei denen der Beweis ihrer christlichen Liebe der Judenhaß oder der Antisemitismus ist. Selbst der »Edel-Christ« bedarf für seinen Glauben der Folie des Juden. Herr v. T. selbst ist ein Beweis dafür. Denn warum würde er sonst verlangen, daß die deutschen Juden »jüdische Christen« werden sollen? Als ich im J. 1862 Rabbiner in Magdeburg war, bat mich einmal meine christliche Magd für einen Armen, der draußen stände, um ein Paar Stiefel. Ich hieß sie die Bitte des Armen er­füllen. Als sie wieder ins Zimmer trat, sagte sie zu mir: »Das war aber echt christlich gehandelt.« Ich schwieg dazu. Wozu sollte ich mich in eine Kontroverse mit ihr einlassen? Der Arme hatte ein Paar