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Marsilius^Ficinus, so Juda Abarbanel, so Giordano Bruno die Welt, Immer entschiedener trat der religiöse Universalismus dem Kon- fessionalismus, die Naturreligion den Offenbarungsreligionen ent- gegen 1 .
Die blutigen Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts schienen die Kultur des Humanismus und der Renaissance zu er- sticken. Um so tiefer aber war nur die Sehnsucht nach einer Gottes- erkenntnis geworden, die über den Streit der Konfessionen erhaben war, nach einer Erkenntnis des Menschen, die nicht befleckt war vpm Blut der Verfolgung. Vom Fundament der Naturwissenschaft aus, der neuen Erkenntnis der Natur, nahmen Spinoza und Leibniz den: Weg zur neuen Erkenntnis Gottes und der Bestimmung des Menschen. Auf die Freiheit der Erkenntnis gründete Spinoza seine Lehre und sein- Leben, der erste Mensch der Neuzeit, der es wagte, das Fundament der Konfession zu verlassen und in der Einsamkeit des Denkers zu leben. Leibniz hingegen in der rastlosen Beweglichkeit seines scharf- sinnigen Geistes, schroffem Widerspruch *feind, wmßte Aristoteles und die mathematische Naturwissenschaft, Gott und Natur; Dogma und Erkenntnis zu harmonischem Einklang zu bringen, ,,mochte ‘mit seiner großen Art zu denken gern aus jedem Kiesel Feuer schlagen“ 2 .
Lessiiig ist der Kämpfer für das Recht der autonomen Gottes- und Welterkenntnis, für die Vernunftreligion gegen die historischen Religionen. Tief angezogen von den Geisteswelten Spinozas und Leibniz’, in den gedanklichen Gehalt und die Eigenart ihrer Systeme immer mächtiger eindringend, gestaltet er mehr und mehr den ..aus Büchern erworbenen Reichtum fremder Erfahrung, Gelehrsamkeit durch eigene Erfahrung, Weisheit. So wird ihm die Welt hell in dem Gedanken der Notwendigkeit, die alles. Geschehen beherrscht, die aber nicht bloßer Ausdruck des Fatums, sondern, göttliche Güte und Weisheit ist. Ist ihm Menschenleben Würde, Freiheit und Unabhängigkeit, erwärmt und beseelt durch Menschenliebe. Eine Menschenliebe, die keine Sentimentalität ist, sondern Ehrfurcht vor Gott und dem Adel des Menschen, Geistesklarheit und Güte, Arbeit an der Einigung der Menschheit in Vernunft und Liebe.
Für diese Religion der Vernunft kämpfte Lessing seinen theologischen Kampf. Die Unredlichkeit des Kompromisses zwischen Vernunft und Dogmatik ist ihm so zuwider, daß er fast die alte orthodoxe Theologie der neueren vorzieht. Denn was tut man? ״Man macht uns unter dem Vorwände, uns zu vernünftigen Christen zu machen, zu höchst unvernünftigen Philosophen“ 3 . So lehnt er die Autorität der Bibel ab: ״Der Buchstabe ist nicht der Geist; und die Bibel ist nicht die Religion. Folglich sind Einwürfe gegen den Buchstaben und gegen die Bibel nicht eben auch Einwürfe gegen den Geist und gegen die Religion. Denn die Bibel enthält offenbar mehr als zur Religion Gehöriges: und es ist bloße Hypothese, daß sie in diesem Mehreren gleich unfehlbar sein müsse. Auch' war
1 Vgl. A. Lewkowitz: Das Judentum und die geistigen Strömungen der Neuzeit. I. Die Renaissance. Breslau 1929. Verlag M. & H. Marcus.
2 Lessing im Gespräch mit Jacobi.
3 Brief an Karl Lessing *vom 2. Febr. 1774.