Besprechungen
„Woran das politische Leben aller Völker krankt, das ist eben die Ausschaltung Gottes und des Gewissens und damit der letzten religiösen und sittlichen Mächte und Kräfte aus dem politischen Denken. Man nennt das Realismus; in Wahrheil ist es Nihilismus, der nur zur Auflösung de» politischen Lebens in rohe Gewalt führt. Weshalb es auch kaum ein skrupelloseres Geschäft auf Erden gibt als die Politik Und keine skrupelloseren Menschen als unsere Politiker aller Staaten und Parteien."
Felix Perles.
Zu einer Uebersetzung und einer Rezension, i.
Wenn ein Rezensent den Wert des besprochenen Buches in Zweifel zieht, hat der Autor, und wenn's ihm noch so sehr gegen Herz und Verstand geht, zu schweigen. Das Buch ist da, es ist zugänglich, jeder kann erfahren wie es ist, das muß dem Verfasser genügen, und ob eine Rezension etwa die Zahl der Leser mindert, das Auge der befangen zu Machenden trübt, es bleiben ihm die Unbefangenen, für die andern darf er von seinem Buch erhoffen, daß es ihnen den Blick wieder kläre, und er darf sogar daran glauben, daß „es sich herumspricht". Wenn von der Zeder in einem Koniferengarten noch so beredt erzählt würde, sie sei eine Zwergkiefer, brauchte ihr Besitzer keine Berichtigung zu versenden.
Anders, wenn ein Rezensent die in dem Buch waltende Intention, also seinen Grund, verkehrt. Das ist, wie wenn man der Wurzel des Baums nachsagte, sie sei angefault und er müsse bald stürzen. Wer gräbt nach? Auch dem Unbefangenen wird da das Urteil des zum sachverständigen Gutachter Bestellten leicht zum eignen Vorurteil. Das ist der Fall, in dem der Autor die Pflicht hat zu reden: der Behauptung die Richtigstellung nachzuschicken, und wenn es angeht, der beweislosen den Gegenbeweis. Ja, den Beweis. Denn wir sind zum Glück auch in den Fragen des Schrifttums nicht dem Subjektivismus der Meinungen ausgeliefert, wenn's auch so scheinen mag.
Gesteigert gilt die Pflicht, wenn der Autor kein Verfasser, sondern ein Obersetzer ist und die Verkehrung die Antriebe und Motive seiner Übersetzerarbeit betrifft. Denn hier steht er
ja in einer Verantwortung von besondrer Strenge: in der einem andern Sein, dem übertragenen Werk und des Werks Genius, gegenüber. Wenn es nun eben das ursprüngliche Gewissen dieser Verantwortung ist, das vom BeSprecher angetastet wird! Man könnte freilich meinen, jenes Werk sei doch auch da und der Leser brauche nur zu vergleichen. Aber die Übersetzung ist ja hauptsächlich für die der Ursprache nicht Mächtigen bestimmt, die sie, wenn's gut geht, wohl zu jener hinführen mag, deren Masse aber zunächst die neu erschienene Verdeutschung eben mit der für ihre Stellungnahme, d. h. für ihr Lesen oder Nichtlesen, entscheidenden Frage empfängt: „Wie hältst du's mit der Verantwortung dem Text gegenüber?" — eine Frage, die sie sich selbst eben nicht zu beantworten imstande ist, deren Antwort sie sich liefern lassen muß eben von den Rezensenten (wobei sie zwischen Kundigen und Unkundigen nicht weiter scharf unterscheidet). Und auch die Kundigen unter den Lesern — wer von ihnen geht ernstlich an die Prüfung? wer stellt Wort neben Wort, Klang neben Klang, Gebild neben Gebild? wer beginnt (denn ohne dies ist's nicht getan) selbst eine, die andre Stelle zu übersetzen, um zu erkennen, welches das Wasser ist, das zu befahren war, wo seine Klippen, wo seine Strudel, wie also gesteuert worden ist? wer weigert sich, die Entartung der Baumwurzel als Tatsache hinzunehmen ohne nachzugraben, wenn's ihm der zum Sachverständigen Bestellte versichert hat?
Die Pflicht zu reden wird zum Befehl, wenn die Schrift, die verdeutscht wurde, die hei-
| Boteck. B.j
Richard Koch, der im vorigen Heft des „Morgen" unsere Verdeutschung des ersten Buchs der Schrift besprochen hat, findet darin „stilisierte Mythen". Stilisiert nennt man zum Beispiel ein Naturgebild bekanntlich dann, wenn es künstlerisch umgebildet worden ist nicht im treuen Versuch, das persönliche Gesetz seines Wesens und Wachstums zum Bild werden zu lassen, sondern in dem Unterfangen eines naturfremden Formbegriffs und Formwillens, ihm die eigne „Stil"konzeption aufzuzwingen; das heißt: statt den elementhaften Sinn seiner Linien, die aus Erbe und Geschick, aus Kern- sloff und Nährstoff, aus Sonne und Erde, aus Gemeinschaften und Befeindungen, aus benannten und namenlosen Kräften so geworden
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