Julius Goldstein

In dieser Synthese von Kosmopolitismus und Patriotismus liegt das Neue derR«den an die deutsche Nation" gegenüber den im Jahre i8o5 gehaltenen Vorlesungen überDie Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters". In diesen Vorlesungen ist der Kosmopolitismus noch freischwebend, ohne jede Hin­wendung zum eigenen Volk. Die Schlußworte der i4- Vorlesung sind bekannt:

Welches ist denn das Vaterland des wahrhaft ausgebildeten christlichen Europäers? Im allgemeinen ist es Europa, insbesondere ist es in jedem Zeitalter derjenige Staat in Europa, der auf der Höhe der Kultur steht Jener Staat, der gefährlich fehlgreift, wird mit der Zeit freilich untergehen, demnach auf­hören, auf der Höhe der Kultur zu stehen. Aber eben darum, weil er untergeht und untergehen muß, kommen andere, und unter diesen einer vorzüglich her­auf und dieser steht nunmehr auf der Höhe, auf welcher zuerst jener stand. Mögen dann doch die Erdgeborenen, welche in der Erdscholle, dem Flusse, dem Berge ihr Vaterland anerkennen, Bürger des gesunkenen Staates bleiben, sie be­halten, was sie wollten, und was sie beglückt: der sonnenverwandte Geist wird unwiderstehlich angezogen werden und hin sich wenden, wo Licht ist und Recht. Und in diesem Weltbürgersinne können wir denn über die Handlungen und Schicksale der Staaten uns vollkommen beruhigen, für uns selbst und für unsere Nachkommen bis an das Ende der Tage."

Der Zusammenbruch Preußens führte Fichte von einem europäischen zu einem deutschen Kulturpatriotismus. Der Zweck des Daseins des Menschen­geschlechtes gjH der Kosmopolitismus kann jetzt nur noch von den Deutschen verwirklicht werden. DieGrundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" bilden die Voraussetzung für dieReden an die deutsche Nation". Ohne jene sind diese unverständlich. Die Schlacht von Jena hat Fichte aus einem weltbürgerlichen Europäer zu einem weltbürgerlichen Deutschen gemacht zu einem welt- bürgerlichen Deutschen: denn, wie Kuno Fischer einmal bemerkt, der Patriotismus der Reden gleicht dem Kosmopolitismus wie ein Zwillings­bruder dem andern.

Wir wissen aus Fichtes Briefen und nachgelassenen Fragmenten, wie tief ihn die Katastrophe erschüttert hat Beachteten unsere völkischen Schriftsteller diese Briefe und Fragmente, sie wagten es nicht, sich auf Fichte zu berufen. Diese Fragmente sind Selbstprüfungen eines Mannes, der um den Sinn der ge­schichtlichen Ereignisse seiner Zeit ringt und aus der unbarmherzigen Kritik an der Gegenwart Forderungen für die Zukunft erhebt Wie Hammerschläge fallen die Worte; nirgends ein Zugeständnis an die Schwäche, nirgends ein

190