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gebene ist, und daß der Haß, weil und nachdem er da ist, sich nachträglich Gründe zulegt. Treffend ist hierbei die Parallele gezogen, die gewonnen ist aus der Einstellung des einst feindlichen Auslandes zu Deutschland, wie sie im Kriege und kurz nach ihm zutage trat.
Würde das Buch klar und eindeutig nur diesen Gedankengang entwickeln, so wäre uneingeschränkte Zustimmung am Platze; nun aber leitet der Verfasser ihn mit Ausführungen ein, die in der Unbedingtheit, mit der sie gemacht werden, abwegig sind. Er schickt dem Ganzen einen, an Umfang diese wesentlichen und zielumschreibenden Gedankengänge übertreffenden, Abriß vorauf, in dem er der Frage nachgeht, wie es gekommen sei, daß die Juden trotz ihrer konservativen Seelenhaltung sich so stark dem Liberalismus zuwenden konnten, und er findet den Grund darin, daß der politische Liberalismus vorbereitet ist durch den religiösen Liberalismus. Ihm einzig und allein schiebt er die Zersetzung zu, dem das Judentum des 19. Jahrhunderts unterlag. Hier beginnt zum ersten die Schiefheit der Darstellung. Die Juden der Zeit vor dem 18. Jahrhundert hätten sich jeder Auflehnung gegen den Staat enthalten, weil ihre ungebrochene Religiosität ihnen den Gehorsam gegen die Obrigkeit als selbstverständlich erscheinen ließ. So ist ihm also jeder Umbau des Staatsgefüges aus liberaler Politik im Grunde Auflehnung gegen den Staatsgedanken. Als ob nicht die konservativsten und gesetzestreuesten Juden aus Gründen politischer Überzeugung oder ihrer wirtschaftlichen Interessen je und je innerhalb liberaler Parteien sich betätigten. Diese Schiefheit setzt sich in der gesamten Darstellung und Bewertung des Liberalismus fort. Er ist ihm einzig und allein gedanklich ein Produkt des Rationalismus und, was den Willen anlangt, geboren aus der Sucht nach gesellschaftlicher Assimilation und politischer Emanzipation, nur Leugnung der Autorität, immer und notwendig mit dem Verlust der Glaubensinnigkeit verbunden. Dabei bleibt alles Behauptung; eine Beweisführung wird nicht versucht, es wird einfach alles, was aus dem allgemeinen Zeitdenken und aus den das gesamte religiöse und Familienleben zersetzenden Umformungen des Wirtschaftslebens an auflösenden Tendenzen einfloß, dem Liberalismus zur Last gelegt. Auch nicht mit einem
Schimmer wird dem Gedanken Raum gegeben, daß innere seelische Gründe vorhanden sein könnten, die mit dem religiösen Leben zusammenhängen können, daß ein seelisches Verlangen Ausgangspunkt sein könnte. So ergibt sich denn ein völliges Zerrbild. Der Liberale wird zu einem Menschen ohne jedes metaphysische Bedürfnis, der für die metaphysischen Werte der christlichen Gläubigkeit keinerlei Verständnis hat, — woraus sich die antisemitische Haltung der Kreise, die in ihr leben, wieder erkläre, — aller Liberalismus führt notwendig zum Abfall und zur Taufe. In diese Zeichnung, die einer persönlichen glaubensmäßigen . Wertung entspringen kann, mischen sich dann noch ausgesprochen falsche Angaben: so wenn gesagt wird, daß es eine dogmatische Differenz zwischen liberalem Protestantismus und liberalem Judentum nicht gebe, so daß 'also dem Verfasser der grundlegende Unterschied zwischen Erlösungsreligion und Gesetzesreligion nicht bekannt ist, wenn es ferner Moses Mendelssohn zugeschrieben wird, daß er die Form als ein Außerwesentliches angesehen habe, ihm, dem das Judentum in allen seinen Teilen geoffenbartes Gesetz war; wenn behauptet wird, daß der Liberale den Austritt aus dem Judentum ohne Übertritt zu einer anderen Religion nicht als eine so schlimme Handlung beurteile. Er spricht mit Emphase von der Bedeutung der Form im religiösen Leben, die der Liberalismus nicht gebührend eingeschätzt habe, wie wenn der gewissensmäßige Widerspruch gegen eine bestimmte Form Widerspruch gegen die Form an sich sei. Nun genügt es aber nicht, die Schiefheiten und Falschangaben zu benennen, man muß fragen, was will der Verfasser mit diesen Ausführungen? Gesetzt gar, er hätte recht, — welchen Weg weist er, um den konservativen Charakter des Judentums wiederherzustellen, auf dessen Würdigung es ihm doch ankommt? Darauf fehlt die Antwort. Einfache Rückkehr zur Orthodoxie? Wie wenn nicht bei der liberalen Haltung ebenso Überzeugung und Gewissensfragen mitsprächen. So muß man denn sagen, daß die einleitende psychologische Begründung mißglückt ist.
Mißglückt sind aber auch so manche sonst eingestreute Bemerkungen, etwa die, daß die Juden in den Linksparteien von bestimmendem Einfluß sind; hier und bei ähnlichen Bemerkungen sind antisemitische Behauptungen, die
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