Gusti Hecht: Mizwa und Geschäft

tierungen, aber diese Farben setzten sich doch meistens zu dem Bild eines Lebens zusammen, das einen vorbestimmten Lauf und einen festgefügten Rahmen hatte. Der Rhythmus war gleichmäßig, das Auf und Ab der Takte, die Tempi, die Pausen wurden von den Jahr für Jahr, Woche für Woche und Tag für Tag sich wieder­holenden Forderungen der Religion geregelt. Das menschliche Schicksal, Geburt, Ehe, Tod blieb ihnen untergeordnet. So brauchte der Schadehen kein Prophet zu sein und trieb auch kein Vabanque- spiel, wenn er zu einer Ehe riet. Er tat ein gutes Werk. Daß er da­bei Geld verdiente, braucht einen nicht zu stören, es ist ja auch nicht anstößig, daß ein Arzt Honorar fordert, wenn er dem Pa­tienten das Leben rettet.

Aber heute! An allen Ecken und Enden liegen die Gründe, die die Tätigkeit des Schadehen in einen Beruf (und einen mit pein­lichem Beigeschmack, seit es für Mizwa und Geschäft getrennte Buchführung gibt) verwandelt haben. Die Erfindung des Autos ist nicht weniger daran beteiligt als die Berufsausbildung der Frauen, der Sport nicht weniger als die Inflation.

Dazwischen steht der Schadehen mit gesenktem Kopf. Es ist alles gar so problematisch geworden.Lauter Narrheiten", denkt der Schadehen im geheimen, steckt resigniert beide Daumen in die Armlöcher seiner Weste und sagt dem werdenden Bräutigam, dem die schönen und gescheiten und reichen Mädchen, die er für ihn ausgesucht hat, nur deshalb nicht gefallen wollen, weil er justament aus Liebe heiraten will:Was, aus Liebe wollen Sie heiraten, solche habe ich auch." Dann aber wendet er sich denen zu, für die er immer noch der richtige ist, den Gesetzten und Reifen, den endlich bekehrten Junggesellen, den wieder lustigen Witwen, kurz all denen, die den Weg durch das Dasein schon zu abenteuerlich fin­den, als daß sie noch bei der Suche nach dem Ehegenossen selb­ständige Pfade einschlagen wollen. Sie lassen sich gern dabei helfen und führen, und der Schadehen kann auch für sie auf die Suche gehen, weil sie ja ihre Wünsche geordnet, weil sie ihr Ideal­bild des oder der Zukünftigen nach der Wirklichkeit zugestutzt haben, weil sie es schildern und präzisieren können, weil sie erwachsen sind und wissen was sie wollen. Mit dem Zufall und mit der Märchenprinzessin ihrer Träume rechnen nur wenige bis zu ihrem Tode, die meisten geben das schon früher auf. An die Unglücklichen, die schon bei ihrer Geburt so hoffnungslos er­wachsen sind, daß sie solche Träume nicht kennen, wollen wir erst gar nicht denken. Aber der übrigen Jugend wollen wir ins Ohr flüstern, daß sehr viele von Schadehen gestiftete Ehen,be­rechnete" Ehen, sich in Liebesehen verwandeln und in dauerhaftere als so manche andere.

Die Jugend schüttelt den Kopf...

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