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eine sehr beklagenswerte. Die Universität besinnt sich nur dann auf ihre Bedeutung* als universitas litterarum, wenn es sich um peruanische und hindostanische oder eine sonstige einflußlose, exotische Kultur handelt Für die Wissenschaft vom Judentum, von dessen Geist'die gesamte sittliche Welt erfüllt ist, gibt es dagegen nicht einmal die Stelle eines bescheidenen Privatdozenten. Der jüdische Theologe findet für sein Fach keine Fakultät, nicht einmal einen einzelnen Lehrstuhl. Im mittleren Schulwesen ist die jüdische Religion nur geduldet, sie ist kein verbindliches Lehrfach, und für Prüfungen hat sie keine Bedeutung. Sa$»H e e r kennt in Friedenszeiten keine Seelsorge" für die jüdischen Soldaten, bei allen allgemeinen religiösen Feiern bleibt das Judentum ganz außer Betracht. Der jüdische Kultus ist vollends eine Privatangelegenheit, die Gemeinden haben keine anerkannte zusammenfassende 0 r g a n i s a t i o n , keine Vertretung, und die jüdischen Geistlichen genießen nicht die Rechte der Seelsorger anderer Religionen. Für die c h r i s 11 i c h e n K i r c h e ii zahlt der Staat alljährlich Millionen, die übrigens auch aus dem Geld;; jüdischer Steuerzahler stammen, für die jüdische Religion nicht einen Pfennig.
Hier den Hebel anzusetzen, hier eine Gleichstellung zu erkämpfen, gebietet nicht nur das innere Interesse des Judentums, das die Unterschiede zwischen der Lage des Judentums und der der Judenheit ausgleichen muß. Es ist auch der logische, der einzige erfolgversprechende Weg zur wirklichen bürgerlichen individuellen Gleichberechtigung. Die Rechtsgleichheit der Gemeinschaft ist die Grundlage ihrer Macht, und nur diese verbürgt psychologisch die innerliche Sicherheit und politisch die wahrhafte, dauerndo Freiheit ihrer Anhänger.
Segensreiche Gleichberechtigungsarbeit muß sich demnach in erster Reihe auf das Juden tum erstrecken. Freilich heben mit dieser Feststellung die Schwierigkeiten erst an. Es hat einen ganz besonderen Grund, wenn in den letzten Jahrzehnten die Frage der Gleichberechtigung unserer Religion mit größter Zurückhaltung behandelt worden ist, und wenn die spärlichen Versuche, hier Wandel zu schaffen, allesamt gescheitert sind. Die Schuld liegt nicht an den Regierungen, sie liegt an der Uneinigkeit über den Begriff „Judentum".
Denn darüber, was Judentum ist, scheint eine Einigung gegenwärtig nicht erreichbar .zu sein; es ist aber unmöglich, für die Gleichberechtigung eines Gebildes einzutreten, über dessen Natur man streitet. Schroff steht das alte religiöse dem neuen nationalen Judenheitsjudentum gegenüber, das die Stimmungen und Wünsche der vielen Judenseelen wie mit einer Linse sammelt und zusammengefaßt auf die unbeschriebenen Blätter künftiger Geschichte als ideale Forderungen des Judentums wirft. Neben der hierdurch bewirkten erheblichen Umgestaltung und Erweiterung des Begriffs klaffen zwischen den einzelnen religiösen Schattierungen und Interessentengruppen Abgründe, die kaum überbrückbar sind, und jeder Teil rühmt sich, im Besitze des echten Ringes zu sein.