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Daß es anders wird, ist nun so lange fraglich, wie wir nicht zwischen Politik und Weltanschauung scheiden gelernt haben. Keineswegs soll damit einem Unterschiede in der ethischen Grundlage beider Begriffe das Wort geredet werden. Es handelt sich nicht darum, daß etwas politisch recht sein soll, was die sittliche Lebensauffassung als unrecht verwirft, sondern einfach um die Frage, ob gemeinsame Interessen, die unbestreitbar vorhanden sind, darunter leiden müssen, daß in anderen Dingen Verschiedenheit der Auffassung und Bewertung herrseht. Die intellektuell so hoch entwickelte Judenheit leistet sich nämlich den eigentümlichen Luxus, bei der kleinsten und unbedeutendsten politischen Angelegenheit Weltanschauungskämpfe auszu- fechten. Das mag zwar für unbeteiligte Zuschauer ergötzlich und interessant sein, für das Judentum ist es aber ein Unglück, ein besonders großes dann, wenn die Streitfragen Nützlichkeitserwägungen sind, die vom Standpunkt jüdischer Religion und Sittlichkeit aus herzlich gleichgültig sind. So steht es in gewissem Sinn mit dem Kampfe um das Recht! Gleichberechtigung als demokratisches Prinzip ist ganz gewiß im inner- jüdischen Leben und im messianischen Zukunftsideal eine Frage der Weltanschauung, in unserem Verhältnis zur Welt ist sie aber ein politisches Problem, denn an sich — als konkrete Erscheinung betrachtet — bedeutet diese Gleichberechtigung für das Wesen des Judentums nichts. Ihre Forderungen richten sich nach den Sonderbedürfnissen der Zeit und des Landes; sie können Wünschen, die unter anderen äußeren Umständen gleichfalls im Interesse der Judenheit erhoben worden sind, geradezu widersprechen! Notwendig ist die Gleichberechtigung nur, damit die Dissonanz zwischen Judentum und Judenheit nicht der Gemeinschaft schade, also aus einem politischen Grunde, und unter politischem Gesichtswinkel, nach politischen Methoden muß sie erkämpft werden.
Wenn darum auch Mittelwege, Kompromisse und Mindestprograranio aus dem Kreise der Weltanschauungsfragen verbannt sein sollen, für die Politik sind sie Lcbenselement! Auch der Nationaljudo tritt — mögen seine Sonderauffassungen andere sein — in ein Verhältnis zum Staate als Mitglied der R e 1 i g i o n s gemeinde. Nur als solche wird der Jude anerkannt, und die Gleichberechtigung des Judentums ist in allen Ländern des Westens die Gleichberechtigung der jüdischen Religion. Für sie muß er darum eintreten. Und wenn Teile der religiösen Judenheit über manche Forderungen und Gesetze des Judentums eigene Auffassungen haben und ihre Verbindlichkeit nicht zugeben wollen, so verlangt doch das politische Ziel, daß man seine volle Kraft auch einmal für solche Dinge einsetzt, die einem persönlich weniger wichtig erscheinen. Der kleinen Anzahl derer aber, die ihre religiöse Sonderauffassung für alleinseligmachend erklären und weniger streng Denkende nicht als vollgültige Juden betrachten, muß die einhellige Meinung aller Parteien und Richtungen es zum Bewußtsein bringen, daß ein solches Beginnen das Judentum untergräbt, das sie gerade durch ihr Vorgehen zu stärken glauben. Ein politischer „Zweck-