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einen Weg sucht, „geh fort, du alttestamentarischer Jude!* Mir gefällt der treffende Ausdruck, wenn nicht ein unangenehmer Ton im Worte läge.
Draußen am Bahnhof ist der Zug abgefahren. Wir warten. Die Kälte erschauert einen in der Ungeduld zwischen den Ruinen und den kalten Steinplatten. Nur die Transportabteiluug des Roten Kreuzes hat einen kleinen Holzverschlag, in den ich flüchte. Drin das ewig selbe Bild. Rauchende Leichtverwundete auf dem Boden kauernd, ein gelangweilter Roter- Kreuz-Bruder, der nicht geschlafen hat und nun etwas duselt. Eine Krankenschwester, die Kaffeetöpfe wäscht,'-und ein junger Doktor.
• Dann und wann spricht der Arzt mit den Wartenden» Ein altes Weib kommt in elenden Fetzen und zieht einen Jungen nach sich. Der Kleine strampelt und schreit, stößt die Alte und reißt sie am Rock zurück. Irgend etwas fehlt dem Jungen. Er soll zum Arzt. Und die Mutter steht vor dem Arzt und spricht in endlosem Wortschwall auf ihn ein. Er nimmt erst schwerfällig und gelangweilt ein Buch und fragt „wie heißt er" und schreibt: „Salomon Rubinstein." „Von wo?" — „Aus H."
„Ihr seid die Mutter?" Mühselig wie alles versteht sie es. „Ja, ja i bin die Mamme." Es ist ihr Kind, das sechste. Zwei sind tot; die sind am guten Ort! Das ist der letzte, er soll leben und gesund sein. Aber der Doktor unterbricht sie. „Schon gut, schon gut. Was seid Ihr?"
„lieh — a Jidische."
„Was Ihr seid?" fragt nochmal der Doktor. „A Jidische" schreit das Weib.
Und der kleine schwarze Bengel mit den verweinten Lausbengelaugen und den dreckigen Fingern vergißt all sein Leid und drängt sich wie wichtigtuend an den Arzt heran.
„Wer seind alle Jidische. lieh bin a a Jid ..."
Im Zimmer wird es auf einen Augenblick so ruhig. Das Holz knackt im Ofen. Ein Verwundeter schnarcht auf einmal laut.
Dann geht das Leben weiter. Es ist nichts gewesen, nichts. Niemand hat etwas gehört ...
Ich gehe draußen auf dem Perron, Es ist noch kälter geworden. Ich stampfe mit den Füßen auf.