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auf den Hauptabschnitt von Duhms Buch beschränken, der die großen Propheten von Arnos bis etwa auf den Dichter der Lieder vomKnecht Gottes" (1. Hälfte des 5. Jahrh.) umfaßt.

In dem kurzen Abschnitt über Arnos (S. 89-97) finden wir bereits fast alle wesentlichen Erkenntnisse Duhms über das Prophetcntum niedergelegt. Es sind zunächst zwei grundlegende Tatsachen; die erste: mit Arnos tritt ein neues in die Geschichte der Prophetie ein; die zweite: alle echten Propheten der klassischen Zeit sind Unheilsverkütider. Das Neue, das mit Arnos beginnt, ist die Verdrängung der ekstatischen Mantik einer älteren Zeit durch das Geistig-Sittliche. Diese Verdrän­gung ist grade bei den echtesten, reinsten Prophetentypen Arnos und Jeremia eine so vollständige, daß die neue Prophetie mit der älteren kaum in Beziehung gebracht werden kann. Dies oben, woran Hölschers Versuch gescheitert ist, hat Duhm erkannt. Der klassische Prophet will keine Orakel geben, keine Wunder wirken, keine magische Brücke zur Gottheit bauen. Sein Sinn ist auf ganz anderes gerichtet. Das Ge­schehen im und am Volke, also seine innere und äußere Geschichte, wird in einem weltweiten Zusammenhang und in einer direkten Ver­bindung mit Gott gesehen. Das nennt Duhm den Beginn der geistigen Weltgeschichte, und er nennt darum mit Recht das Prophetentuni die größte Bewegung in der geistigen Entwicklung der Menschheit" (S. 112). Aber diese völlige Neuartigkeit der Erscheinung würde jede Darstellung der Prophetie, auch die Duhms, klarer, in sich geschlossener und sogar ergiebiger werden lassen, wenn von denVorstufen", die gar keine Vorstufen dieser Erscheinung sind, und von den Nachläufern, die innerlich in keiner Beziehung mehr zu ihr stehen, möglichst ganz abgesehen würde. Wir erfassen auch die klassische Philosophie der Griechen besser, wenn wir sie etwa von Thaies bis Aristoteles rechnen, als wenn wir ihre Grenzen von Hesiod bis Plotin stecken. Der prophe­tische Gedanke, der von Arnos an die Prophetie beherrscht, ist: Das Gut und Böse des Menschen (und des Volkes) ist es, was sein Schicksal und seine Geschichte bedingt und formt; und der Leiter dieser Ge­schichte ist Gott.

Hieraus verstehen wir auch das Zweite: warum der wahre Prophet Unglücksprophet sein muß. Die Aufgabe, die ihn zum Reden treibt, ist die sittliche Leitung des Volkes, und solange er Böses sieht, muß er Unheil künden. Denn die Gesunden bedürften des Arztes nicht: der Prophet aber will und muß Arzt seines Volkes sein.

Des weiteren entwickelt Duhm an der Gestalt des Arnos, was den Propheten zum Beden treibt, also Art und Form seiner Inspiration. Hier findet er eine glückliche Formel, die seinen Gegensatz zu Hölscher treffend kennzeichnet: Es ist nicht psychischer Zwang, sondern m o r a - Iische Notwendigkeit, was den Propheten zu reden zwingt. Freilich geht auch Duhm nicht auf die Frage ein, ob diese Notwendig­keit aus der Seele des Propheten selbst entspringt oder ob sie, wie die. ältere Theologie lehrt, von außen und oben in den Propheten hineinge­tragen ist. Hier ist nicht der Ort, diese tiefsten Fragen der Prophetie