RELIGION UND GESUNDHEIT

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dafür bezahlt, Gymnastik, Sport, Wanderungen, die sie nicht pflegten, hätten ihnen wohl getan. Aber die Ablenkung von ihrem Ich auf die Welt der Thora wiegt alle Schädigungen tausendfach auf. Sie haben gelernt, daß es noch höheres gibt, als die leibliche Gesundheit, und diese Erkenntnis ist selber ein wichtiges Stück Gesundheit. Denn es gilt die paradoxe Wahrheit, daß übermäßige Schätzung der Gesund­heit diese schwächt, statt erhöht.

Die Forderungen der Hygiene und die des Religionsgesetzes können miteinander in Widerspruch treten. Die Hygiene kann for­dern, was das Religionsgesetz verbietet. Dann geht im allgemeinen das Religionsgesetz voran. Wenn man einem Juden Hämatogen, das aus Rinderblut bereitet wird, als sicheres Heilmittel gegen Blutarmut empfehlen würde, würde er es trotzdem unter keinen Umständen ge­nießen, weil uns eben der Blutgenuß in jeder Form verboten ist. Bei direkter Lebensgefahr dagegen soll nach seiner eigenen Forderung das Religionsgesetz übertreten werden. Selbst dann wird es oft im wahren Interesse der Gesundheit trotz aller Gefahren besser beobachtet. Am Jomkippur fasten wir nach strenger biblischer Bestimmung volle 24 Stunden. Ein Schwerkranker aber muß essen, wenn der Arzt das Fasten für gefährlich erklärt. So der Schulchan Aruch 33 ). Ein sehr vernünftiger Arzt aber hat einem bejahrten Patienten dringend ge­raten, trotz seines bedenklichen Zustandes zu fasten, und der Kranke ist ihm gefolgt. Nachher hat ihm der Arzt gesagt:Wenn Sie jetzt, zum erstenmal in Ihrem Leben, gegessen hätten, würden Sie sich für noch viel kränker halten, als Sie in Wirklichkeit sind, und die Depression hätte Sie weiter zurückgebracht, als alles Fasten. Jetzt haben Sie zwar einen schweren Tag erlebt, dürfen sich aber sagen, daß sie gesünder sind, als Sie selber glaubten, und diese Entdeckung wird Sie noch gesünder machen." So war es auch. Die vorübergehende gesundheitliche Schädigung wurde bei weitem ausgeglichen durch seelische Zufriedenheit und erhöhtes Vertrauen in die körperliche Leistungsfähigkeit. Der gute Rat des Arztes war ein Widerspruch gegen die nächsten Forderungen der Hygiene, aber ein Ausdruck der echten seelischen und in ihren Folgen bald auch leiblichen Gesundung. Gesund werden heißt den Körper vergessen.

Wir sprachen bisher von Patienten, denen der Arzt noch Rettung bringen kann. Aber vielen Kranken kann keine Medizin mehr helfen. Wenn die Netzhaut sich ablöst, wenn Tabes, wenn schwere Tuberku­lose den Menschen befällt, dann helfen dem König Asa keine Doktoren, und dann nützt auch das Buch der Heilmittel nichts mehr, das König Hiskia verbergen ließ. Und schließlich kommt für jeden der Tag, an dem er dem Tod ins Antlitz schaut. Dann bleibt in der Gewißheit des nahen Endes nur ein Trost, Umkehr, Gebet und vertrauensvolle Er­gebung in Gottes heiligen Willen. Wohl dem, der in dieser Stunde sprechen kann:In deine Hand empfehle ich meinen Geist, du er­lösest mich, Ewiger, Gott der Wahrheit 34 )!"

**) Orach Chajim Kap. 618 w ) Ps. 31, 6.