DIE GERIM VON JUDINA

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habender Mann, denn seine Einkünfte stammen nicht bloß von seinen Feldern, sondern auch vom Konsumverein und von der Schechitah und ähnlichem.

Er bat mich in sein Zimmer. Auf dem großen Tische lagen mehrere Bücher: ein Chasan Mischpath, Yareh Deah, die Bibel, ein Schulchan Arueh. Dies war seine ganze Bibliothek, und er gestand, daß er auch mit diesem wenigen nicht sehr vertraut sei. Es war klar, ein Lamdan war er nicht. Er hatte seinerzeit die Bücher gekauft, als er sich für die Schechitah und Bedichah vorbereitete. Die Autorisation für die Schechitah hatte ihm ein alter Rabbiner gegeben, Rabbi Ghafez aus Krasnojarsk.

Charakteristisch für die Einstellung dieser Gerim ist es, daß während der ganzen vier Tage, die ich bei ihnen verbrachte, auch nicht eine einzige Frage an mich gerichtet wurde, die auf die soziale oder ökonomische Lage der russischen Juden Bezug gehabt hätte. Das ein­zige Interesse Pawlows sowohl als auch der anderen Gerim lag aus­schließlich auf dem Gebiete des Kults sie wollten aufs genaueste wissen, wie wir beten, studieren, die Kinder religiös erziehen.

Pawlow beschrieb mir, wie sie selbst auf ihrem Dorfe lebten. Die ältere Generation besonders scheint außerordentlich strenggläubig zu sein. Sie legen den größten Wert auf die Beschneidung, Schechitah, Kaschruth, Talith und Tefillin, Chuppah, auf die Einhaltung des Sabbats, der Fasttage und aller Feste. Ganz besonders genau werden alle Pessachvorschriften eingehalten; die geringsten Kleinigkeiten werden sorgsam beachtet. Besondere Häuser sind für das Mazzoth- backen da. Alljährlich werden neue Geräte angeschafft. Die Gemeinde liefert neue Schürzen für die Frauen. Zwei Wochen lang ist alles im Dorfe, alt und jung, mit dem Mazzothbacken beschäftigt. Der Weizen für das Pessachmehl wird zur Erntezeit besonders ausgewählt, sorg­fältig und unter Überwachung gemahlen.

Die ältere Generation betet täglich. Es findet sich auch täglich in der Synagoge ein Minjan zusammen, mit Ausnahme der Zeiten, wo die Feldarbeit alle Männer auf den entfernten Saimkes festhält. Montag und Donnerstag, wo die Thora verlesen wird, ist die Gemeinde be­trächtlich größer. Wenn ein Gemeindemitglied Jahrzeit hat, wird drei­mal täglich in der Synagoge gebetet. Manche beten hebräisch, manche russisch.

Pawlow ist tief betrübt darüber, daß die Leute nicht richtig beten können. Die meisten können nicht einmal hebräisch lesen, und nur ganz wenige verstehen etwas von jüdischen Dingen. Er ist der einzige,