DIE GERIM VON JUDINA
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des Evangeliums nicht nach den Worten des Religionsstifters lebten, daß sie weit entfernt davon waren, einander zu lieben, und er suchte nach einer Religion, deren Lehren mehr im Einklang mit dem Leben ihrer Bekenner standen.
Seinen Predigten verdankt die Sekte der Molokkaner ihre Entstehung. Sie entfernten alle Heiligenbilder von den Wänden, liielten geheime Gottesdienste ab und gelangten nach und nach zu einem Glauben, der sich dem jüdischen vielfach näherte. Sie anerkannten nur das Alte Testament, hielten sich an dessen Speiseregeln, leugneten die Gottheit Jesu Christi, betrachteten ihn aber als einen heiligen Propheten. Ihr Streben war es, ein stilles, gottgefälliges Leben zu führen, fern von Falschheit, Heuchelei und Aberglauben.
Es ist klar, daß sich ihr geistiges Leben gänzlich unter der Oberfläche abspielen mußte. Aber je mehr sich ihre Lehren verbreiteten, desto mehr Verdacht schöpfte die Polizei, und schließlich litten sie arg unter Spionenwirtschaft und Verfolgung.
Die Mitglieder der Gemeinde ließen sich nicht abschrecken, ja, Anton Rogow ging jetzt noch einen Schritt weiter: die Lehren der Molokkaner befriedigten ihn nicht, und er begann unter den Molok- kanern für das Judentum zu werben. Zwei bis drei Jahre lang währte das Schwanken, dann entschlossen sich die Molokkaner des Dorfes Zigla und Umgebung, zum Judentum überzutreten. Viele unterwarfen sich der Beschneidung, während andere sich damit begnügten, ihr Leben ganz nach dem jüdischen Brauch einzurichten.
Nun begann eine Zeit schlimmer Verfolgungen für die Ubergetretenen, und schließlich wurden sie insgesamt in die Tundren von Irkutsk verbannt. Um sie zur Umkehr zu bewegen, wurden ihnen sogar ihre Kinder genommen. Aber die Sekte blieb standhaft, und die Eltern gingen ohne ihre Kinder in die Verbannung. Diese Kinder ihrerseits hatten auch alle möglichen Verfolgungen zu erdulden, aber es gelang nicht, sie der Kirche wieder zuzuführen. Sobald sie alt genug waren, zogen sie sämtlich nach Irkutsk, und wenn auch nicht alle zu den Eltern fanden, so blieben doch alle dem Judentum treu; soweit bekannt, verließ kein einziger den schwer erkämpften Glauben.
Selbst in den Tundren hörte die Verfolgung der Verbannten nicht auf; trotz aller Leiden grausamster Art aber blieben sie dem Judentum treu. Rogow und Kontschekow verfaulten buchstäblich in den Gefängnissen von Irkutsk; sie starben einsam, fern von Familie und Freunden. Pawlow, dem es irgendwie gelungen war, seine Kinder mitzunehmen, wurde schwer bestraft — die Kinder wurden ihm wieder abgenommen,