DIE MUSIK DER ANTIKEN JUDEN
Die vorliegenden Ausführungen des unseren Lesern bereits bekannten Verfassers enthalten in bezug auf das noch kaum bearbeitete Problem einer ältesten jüdischen Musik soviel Neues und Wertvolles — überdies in fesselndster» von tiefstem Verständnis jüdischen Wesens inspirierter Darstellung, daß wir sie unseren Lesern nicht vorenthalten wollen, wenn wir auch nicht im Zweifel sind, daß manche der mitunter gewagten und mehr einem intuitiven Gefühl als einer wissenschaftlich beweisbaren Tatsache entspringenden Behauptungen des Verfassers Anfechtungen nicht entgehen dürften. Die Redaktion.
ie antiken Juden haben zwar ihre Tempel und Paläste
Jj_ ß nicht selbst gebaut, aber sie hatten Sängerfamilien, Tempel-
und Hofkapellen, tanzende Propheten, dichtende und singende Könige, musizierendes Volk; sie hatten geistliche Lieder (Psalmen, Klagelieder), Volkslieder (Hirten-, Schnitter- und Winzerlieder), sie schlugen Schlachten mit Posaunen (die Mauern Jerichos!), sie hatten ihre spezifischen Instrumente (Posaunen, Harfen); sie sangen vor Gott, sangen Triumphlieder, Siegeslieder, Klagelieder, Sterbelieder; sie hatten synagogale Improvisationen, hatten endlich — als stärkste Dokumentation ihrer Musikalität — die Bibel, das universale Vermächtnis an die Jahrtausende. Hier gibt es kein Quidproquo: die Bibel ist ein musikalisches Vermächtnis. Die Symbole sind oft bei anderen Völkern verwendet; aber die Eindringlichkeit, die Urleiden - schaft, die Musikalität fehlt allen.
Das altjüdische Volkslied ist neben der Bibel vielleicht das stärkste Manifest der jüdischen Musikalität. Nicht nur bei Hochzeiten und anderen Freuden wurden Lieder gesungen, sondern auch bei weltlichen Festen, vor allem bei den Jahrzeitfesten. Aber auch bei den profanen Festen offenbart sich der religiöse Zug. Die Liebeslieder (Das Hohelied) enthalten in sich den ethischen Kern des Verhältnisses zwischen Mann und Weib und die Frühjahrs-, Lese- und Herbstfeste wurden immer verknüpft mit Gottesdienst und Opfer zum Preise
J----s, des Spendenden. Es fanden Umzüge statt mit Musik und
Freudenliedern, und alle endigten vor der Bundeslade mit Opfern und Hymnen. Ambros sprach mit Recht davon, daß die Musik bei den alten Hebräern zuerst zur „m usica sacra" wurde. Alle weltliche Musik und aller weltliche Gesang wurde in die Sphäre der absoluten Göttlichkeit gehoben.
Sehen wir einmal die Erlösung an als die Erlösung vom Raum, als die Sehnsucht nach der Ewigkeit, und betrachten wir die
Von Heinrich Berl