ÄRTURSZYK Artur Szyk ist Miniaturenmaler im alten Sinne des Wortes , in dem es Künstler bezeich¬ nete , die mit ihrer Malerei — ursprünglich war es nur mit roter Farbe , Minium genannt — Bücher schmückten und illustrierten . Als solcher ist er heutzutage einzig . Ja , noch mehr . Seit Jahrhunderten schon ist diese Kunst , deren Anfänge bis in graueste Vergangenheit zurückreichen , vollständig erloschen . Im hellenistischen Alexandrien nach dem Vorbild altägyptischer Schriftrollen sind die ersten Miniaturen entstanden . Im oströmischen Reich zur Blüte gebracht , wird diese Kunst dann in allen Ländern Europas , wohin sie von Byzantium verpflanzt wurde , eifrig gepflegt . In der französischen Frührenaissance zeitigt sie berauschende Wunderwerke und ver¬ schwindet plötzlich , auf der Höhe ihrer Ent¬ wicklung , aus der Welt . Die Buchdrucker¬ kunst nämlich , die den geschriebenen Büchern ein Ende setzte , entzog eo ipso auch der Mi¬ niaturenmalerei den Boden . Schon aus rein technischen Gründen , weil sie nämlich da¬ mals nicht vervielfältigungsfähig war , mußte sie den Platz räumen . Holzschnitt und Kupfer¬ stich , beide schneller und leichter herstell¬ bar , beide reproduzierbar , beide dem neuen Zeitgeist gemäßer , traten an ihre Stelle . So an der Schwelle der Neuzeit zur Strecke ge¬ bracht , gehörte sie seither nur der Ge¬ schichte an . Wie kommt es also , fragt man erstaunt vor Szyks Miniaturen , daß die tote Kunst vergangener Epochen heute erneuert wird ? Es ist wahr : die Technik , die sie einst umge¬ bracht hat , könnte sie heute dem Leben zurückgeben , denn es ist jetzt ein leichtes , Miniaturen zu reproduzieren . Doch was soll diese minutiöse Kunst , deren Heimat der ge¬ duldige , fromme Orient , deren Pflegestätten meistens Klöster waren , in unseren Tagen der taumelnden Schnelligkeitsrekorde ? Was sollen diese schönen Bildchen mit ihrer Fülle an Details , die lange Zeit brauchen , um ge¬ schaffen und lange auch , um genossen zu werden , in unserer Welt der Hast , der Uber - bürdung , der starken Akzente ? Das Werk eines Eigenbrötlers scheinen sie zu sein , der fern von allen Kämpfen der Gegenwart , be¬ geistert von den Schätzen der Bibliotheken , schönheitstrunken und blind für das um¬ gebende Leben , vergangene Träume nach¬ träumt . Doch diese Bedenken , die Szyks Kunst unfehlbar anfangs in jedem Betrachter weckt , sind unberechtigt . Weit davon entfernt Phantasien eines Sonderlings zu sein , sind seine Werke Manifestationen eines bewußten Zeitgenossen . Und nicht Schattenspiele , son¬ dern Ausdruck starken Wollens . Aus über¬ mächtiger Sehnsucht nach Bindung sind sie entstanden . Derselben , die sich heutzutage auf verschiedenen Gebieten des Lebens kundgibt und wohl am sichtlichsten in der Politik zu¬ tage tritt . Und wie alle , die des gleichen Geistes sind , läßt auch Szyk auf seine Art den Ruf nach einem neuen Mittelalter erschallen , jener Epoche , die als das positive Gegenbild all dessen gilt , was an unserer Kultur so furchtbar schmerzlich ist . So knüpft er an die Kunst des Mittelalters an , um die Mängel , oder was er als solche empfindet , der gegen¬ wärtigen zu bekämpfen . Denn dort findet er statt der vielen Richtungen , der Nervosität und der unpräzisen Ausführung , die unserer Kunst eigen sind , eine Malerei , die solide fach¬ liche Bildung zur Voraussetzung hatte , an ein ehrliches Handwerk gebunden war und , dem Kult dienstbar , von ihm ihre Weihe empfing ; wohingegen es heute keinen Künstler gibt , der nicht schwer daran litte , daß die Kunst den Zusammenhang mit sozialen Werten voll¬ ständig verlor und gewissermaßen das Leben eines Phantoms führt . Und bis zum Letzten konsequent in der Verfolgung seiner Tendenzen , geht Szyk gerade bei jenen Meistern des Mittelalters in die Lehre , die in der alleräußersten Gebundenheit geschaffen haben und das unfaßliche Wunder vollbrach¬ ten , an einer winzigen Fläche ihrer Manu¬ skripte , durch Technik , Inhalt und herrschende Tradition begrenzt , monumentale Wirkungen zu erreichen und Ströme von Poesie fließen zu lassen . Die Liebe zum Buche als solchem , wohl verständlich bei diesem treuen Sohn des alten Am - Hasefer , wird bei der Wahl seines Lebensweges , die natürlich eher innere Be¬ rufung als Überlegung war , nicht unerheblich mitgespielt haben . Was nun beginnt , ist ein packender , dramatischer Kampf mit den Mächten der Vergangenheit . Denn wohlgemerkt : nicht , die alten Miniaturen nachzuahmen , ist sein Ver¬ langen , was bei einiger Geschicklichkeit nicht gar so schwer gewesen wäre , sondern die alte Kunstart neu zu beleben . Und dies be¬ deutet ein schweres Ringen mit dem Tode , dem es sein Opfer zu entreißen galt . Das Buch Esther , das er als erstes nach Art seiner Vorbilder selbst geschrieben und mit eingestreuten Initialen und Bildern reich geschmückt hat , zeigt den Anfangspunkt dieses einzigartigen künstlerischen Weges : Trotz seines eminenten dekorativen Talentes , seiner feinen Zeichen - und seiner unfehl¬ baren Kompositionskunst ist er in diesem Werke der Größe seiner Aufgabe noch nicht |