288 MENORAH gewachsen . Noch wirkt er vor lauter Angst , gegen die Syntax der ungewohnten künstleri¬ schen Sprache zu verstoßen , steif , und über¬ laden vor lauter Bestreben , den Charakter des üppigen Orientes , in den uns die Legende versetzt , wiederzugeben . Alle nächsten Werke jedoch sind ebenso viele Stufen des wachsen¬ den Gelingens , sich im Rahmen der Kunst , die er wählte , als Meister und Persönlichkeit zu bewähren . Merkwürdigerweise förderten ihn dabei am meisten zwei Werke , die an sich sehr gefährliche Experimente bedeuten , und zwar die Illustration zweier modernen , gedruckten Bücher , der „ Versuchung des heiligen Antonius 41 von Flaubert und der „ Tänzerin Hagar 4 ' von Benoit . U > u nämlich die Spannung zwischen dem nüch¬ ternen Druck und den dazugehörigen Minia¬ turen zu mildern , war der Künstler ge¬ zwungen sparsamer , übersichtlicher und weni¬ ger prunkvoll zu werden , und näherte sich so den echten östlichen Miniaturen , deren ober¬ stes Gesetz Grazie ist . Anderseits half ihm die Notwendigkeit neuzeitliche Menschen mit ihren Gebärden und Kleidern , wirkliche Land¬ schaften mit Automobilen und Eisenbahn¬ zügen , in Miniaturen darzustellen , über die anfängliche Befangenheit hinweg . Nach dieser harten Schule beherrscht Szyk die Miniatur , wie Musiker ein ehrwürdiges altes Instru¬ ment zu behandeln pflegen : rücksichtsvoll , doch souverän . Die Haggada , die er nachher schreibt und illustriert , lieiert dafür einen prachtvollen Be¬ weis . Schrift — die hebräische des Urtextes — Umrahmung und Bilder halten einander die Waage und heben eines den Wert und Aus¬ druck des anderen hervor . Die vorherrschen¬ den hellen und zarten Farben , die Stilisierung der Szenen und Menschen , die jetzt nicht der Miniatur , sondern dem Charakter der Haggada zuliebe vorgenommen wird , lassen das Buch als schönes , innig - humorvolles Volkslied erscheinen , das vom freudigen Pessachfest und seinen Gebräuchen , von seinem gruselig - wundervollen Anlaß und vielen , gar vielen Dingen singt und erzählt . Anders und ebenso gelungen , obgleich schwerer und komplizierter in Anlage und Form , ist das nächste , bisher letzte Werk Szyks . Es ist der Kodex von Kaüsz , der die Rechte und Privilegien umfaßt , welche seit dem 13 . Jahrhundert die Basis der rechtlichen Stellung der Juden in Polen büdeten . Die Aus¬ führung der einzelnen Miniaturen ist schlecht¬ hin meisterhaft . Was aber dem Werk seinen originellen Charakter verleiht , das ist die Auf¬ fassung des Vorwurfes . Denn diese Bilder sind eigentlich keine Illustrationen des Textes — wie wäre dies auch möglich — sondern Phan¬ tasien über die Vergangenheit der Juden in Polen , die anläßlich der nüchternen Para¬ graphen des Gesetzbuches im Geiste des Künstlers auftauchen . So sehen wir in bunter Folge eine Münzstube , in der Juden polnische Reichsmünzen prägen , ein großartiges jüdi¬ sches Handelsschiff und dann wieder einen jüdischen Weber am Webstuhl und Schneider und Schuster und Bäcker an der Arbeit . Und außerdem huschen drolligerweise zwischen den Zeilen des strengen goldgeschmückten Textes Gestalten und Szenen aus dem Volks¬ leben . Eine armselige jüdische Droschke mit magerein , zerschundenem Gaul taucht auf . Ein hageres Dorfjüdlein vor einem Herrn gestikulierend , ist fragmentarisch angedeutet , llingehaucht als Spiel der Erinnerung , die während ernster Arbeit Allotria treibt . Durch solche Ubereinanderschichtung verschiedener Motive ist Szyk das Meisterstück gelungen , ein Werk zu schaffen , das dekorativ ist wie ein orientalischer Teppich und zugleich per¬ sönlich und lebenswarm . Interessant und bedeutsam für jeden , der die Kultur unserer Zeit studiert , ist es Szyk in noch höherem Maße für den Historiker jüdischen Kunstlebens . Denn da stellt er das höchst seltene Phänomen eines jüdischen bildenden Künstlers dar , der sich als solcher auf jüdische Kunsttradition berufen kann . Die Miniaturmalerei nämlich hat im Gegen¬ satz zu jeder anderen bildenden Kunst unter den Juden eine lange und große Vergangen¬ heit . Ja , vielfach wird es sogar behauptet , daß Juden nebst Griechen und Kopten die ersten Meister dieser Kunst in Alexandrien gewesen sind und auch an ihrer Pflege im byzantini¬ schen Reich sollen sie großen und rühm¬ lichen Anteil gehabt haben . Sicher ist es jedenfalls , daß im Mittelalter jüdische Manu¬ skripte häufig illuminiert wurden . In der bis auf unsere Tage erhaltenen berühmten Haggada von Serajewo und dem wunder¬ vollen Gebetbuch aus dem 14 . Jahrhundert können wir ferne und erlauchte Vorläufer der Bestrebungen Szyks bewundern . Viel¬ leicht ist es ihm vorbehalten , für das Volk zu bewirken , was jene nur für einzelne leisten konnten : den jüdischen Festen die Weihe der Kunst zu schenken und die Kunst im Leben zu verwurzeln . Aurelie Gottlieh J . W . SCHÜLEIN , München , von dessen interessanten Werken wir zwei Ge¬ mälde hier reproduzieren ( Seite 307 f . ) , zeigt die Landschaft des modernen Menschen , wo die Weite der Natur mit der Enge der Straßen der Großstadt in ' farbigen Kontrasten zu¬ sammenstößt . |