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M ENORAH
lernten in einer der Schulen, wie sie jedem Tempel angegliedert waren. Lesen. Schreiben, Arithmetik und Geometrie, vielleicht später auch Astrologie, Medizin, Rechtskunde.
So war das Leben eines Mannes, wie Abraham, im zwanzigsten Jahrhundert vor der gewöhnlichen Zeitrechnung, bestimmt das verwöhnte Dasein eines Städters, und wenn wir uns den Hintergrund der biblischen Erzählung ausmalen wollen, müssen wir ihn uns dergestalt denken, und durchaus nicht aui' nomadische Zellbewohner zurückgreifen. Von allem Anfang an waren die hebräischen Sitten und Kulte durch die Traditionen einer sehr allen und höchst kunstreichen, nicht- semitischen Zivilisation beeinflußt. Die meisten Leser wird dieses Bild der Lebensumstände des Patriarchen überraschen und ihre frühere Meinung ganz entschieden modifizieren. Es ist aber notwendig, uns diese Umstände ganz klarzumachen, um verstehen zu können, welches die. ererbten Gedanken und Begrill'e und Gebräuche waren, die die Hebräer dann fortentwickelten und ummodelten. Selbst die prähistorischen Gräber von Ur, die fünfzehnhundert Jahre weiter zurückliegen, sind für den Bibelforscher von Interesse, denn sie stellen die Wurzel jener Zivilisation dar, die der hebräischen zugrunde lag.
jL-Js gibt andere Punkte, wo unsere Ausgrabungsresultate ziemlich unmittelbar an die biblische Erzählung anschließen. So. wenn wir ein Nonnenkloster entdeckt haben, das von Nabonidus, dem letzten babylonischen König, gegründet und von seiner Tochter, Nelthalti-Nannar. der Schwester Belsazars, geleitet wurde. Aber ich linde einen andern Eall interessanter, wo umgekehrt die Bibel herangezogen werden muß. um die Ausgrabungsresiiltale zu erklären, statt daß diese neues Licht auf die Bibel werfen.
Ich habe oben den Tempel E nun mach erwähnt, der schon zu Abrahams Zeiten sehr all war. Im Jahre 3000 vor der gewöhnlichen Zeitrechnung erbaut, war er zweieinhalblausend Jahre hindurch von einem König nach dem andern umgebaut und erneuert worden; aber er verlor dadurch nicht seinen ganz eigentümlichen Charakter. Der Tempel war nämlich so eigenartiger Konstruktion, daß Gelehrte, die den Stil der babylonischen Architekten kannten, geneigt waren, ihm den Charakter eines Tempels überhaupt abzusprechen, trotzdem doch so viele Inschriften diesen bezeugen. Das Heiligtum, ein kleines, fünf- zimmriges Gebäude, war mitten in einem komplizierten Häuserblock versteckt, der Wirtschaftsräume und Vorratskammern enthielt; um den Haupteingang zu erreichen, mußte man durch einen engen, ge-