CHE-BY-CHE

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mit sich. Sie schliffen ihre krummen Sähet vor den Augen der gesamten Sln<H. Nachrichten huschten auf Mäuscpf ölehen, von Mund zu Ohr. Che-by-che unterschied sie kaum, er sah nur, daß das Geflüster Ifaare zum Strauben und Hände zum Zittern brachte. Das Geflüster wuchs an... Den Typhus, den Hunger über­tönend, zischle es: Pogrom in Proskurow, Tultschin, Litin, viertausend in einer Nacht . . .

Das Lehen ist dazu da, um schnell zu vergehen. Che-by-che wurde alt. Ein hübsches ßündel Tage und Sorgen trug er auf seinein gekrümmten Kücken. Aber eins Leben Avollle ihn noch immer nicht in Ruhe lassen.

Es war ein wüster Herbsttag. Ein Tag, der zu kurz war, um die Nacht aus dem Ge­dächtnis zu Acrjagen. Es war um die soiinlose Mittagsstunde. Che-by-che hörte plötzlich, daß die Stille in der schmalen Gasse hinter seinem niederen Fensler sich zusammengeballt halle. Es dauerte lange, bis er sich aus seinem Häus­chen hinausschlepple. Kr ging behenden Her­zens den Schallen mich, die alle, den Mauern entlang, in eine unheimliche Richtung schli­chen . . .

Der nlte Friedhof war voll grauenhaft entstellter Menschen. In der Leichenhalle, mit­ten auf dem Roden, lag der Leichnam. Er war ein Zeugnis der Menschheil vor der Ewigkeit. Vierzig Wunden klafften an ihm, keine von ihnen war tödlich. Alle Fingier waren einzeln abgeschnitten. Die Nase hing an einer Faser. Ein Brillenglas steckte in einer leeren Augen­höhle, ein verdorrter Sonnenblumen.stiel in der zweiten. Der Rauch war eine Schmäh­schrift, in die Haut gerilzt.

An diesem Toten war der Welt kämpf be­dächtiger, gelassener, scherzhafter, überlege­ner und sparsamer Grausamkeit in Ehren aus­getragen worden. Che-by-che trocknete seine Tränen nicht, sie flössen ihm über Rnrt und Kinn.

Aber dann kam etwas, worüber die Ewig­keit wohl einen Lachkrampf hätte bekommen können. Der Leichnam, der doch bestimmt ganz anderes, als unrein Leichnam war, wollte einfach gewaschen, bestattet, von Gebeten um- niuriuelt werden . . . Che-by-che war all sein

Leben ein frommer Jude gewesen, das aber konnte er nicht mitansehen, er sehlieh sich vom Friedhof weg.

Der Hauer, der die Leiche auf der Straße zwischen Medsehibosch und Letitschew gefun­den und in die Stadl gebracht halte, hieb" An­ton Fedjuk.

Anton FedjukV . . . Das war ja der alte Imker, für den Schülern Che-by-che jahrelang MelfäLiehen gemeistert hatte! Anton?... Fed­juk*.' . . . Aus Slawnilza? . . .

.,Che-by-che? . .

Nach zwei Wochen des Kampfes siegle Schülern über seine Schwäche, über seine Trägheit, über seine Angst. Auf einen Stock gestützt, ging er nach Slawnilza. Er mul.Ue An­ton sprechen.

Er mußte Anton sprechen. Anton war ein Mensch, er war Ukrainer, ein Volks- und Glaubensgenosse der Mörder. Das Dorf Staw- nilza war ja nicht einmal drei Werst weit. Vielleicht trifft sich ein Wagen unterwegs? Che-by-che durfte nicht sterben, bevor er An­ton nicht gesprochen hatte. Kr wollte Anton eine Frage sieben. Fr hafte sie noch nicht, die Frage, doch wußte er, daß sie sieh schon zur richtigen Zeit einfinden würde. Seil er die Sprache verloren hatte, verstanden ihn ja auch die Nichtjuden leicht und gut.

Drei Werst sind für wehe Reine ein Weg ins Jenseits. Erst gegen Abend traf Schülern Che-by-che in Slawnilza ein. Er kannte das Dorf wie seine eigene Stadl. Er muhte nicht erst fragen, wo Anton Fedjuk wohne. Unbe­kannt war ihm nur. daß in Slawnilza ukraini­sche Partisanen rasteten. Er fiel in ihre Hände. Er sab An ton nicht.

Anton aber sah ihn. Er sah, daß zwei Partisanen ihn an den Reinen hielten und mit dem Kopf nach unten in den alten Rrunnen hineinhängen ließen. Er sah, daß zwei Parti­sanen sieh redlich abmühten und nichts Rech­tes ausdenken konnten. Sie tauchten Schülern ins Wasser, warteten das Erscheinen von Luft- bläschen ab und zogen ihn wieder empor. Sie ärgerten sich sichtlich über die Armut ihrer er­schöpften Eingebung. Sie schwitzten. Sie gröhllen die unflätigsten Flüche.