Von vr. I. Gugenheimer.

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antwvrtuug von subjektiver Anschauung, von persönlicher Ueberzeu- gung, von wissenschaftlicher Forschung.abhangt, die Verschiedenheit des individuellen Standpunktes sich kundgtbt, weit von einander dtver- girende Ansichten sich geltend zu machen suchen: so räthselhast muß es erscheinen, wenn über faktische Verhältnisse, über offen vorlie- gende Thatsachen, bei deren Schilderung der Unbefangene die In- fluenz einer persönlichen Meinung gar nicht denkbar zu halten ver- mag, Erklärungen abgegeben werden, welche auf der einfachen Negation von Zuständen beruhen, deren reale Existenz so notorisch ist, daß man die Leugnung derselben nur bet demjenigen, der die Kreise, in denen jene Zustände sich manifestiren, nie zu beobachten Gelegenheit hatte, für möglich halten sollte. Allerdings existirt nur Ein Judenthum: allerdings kennt das Judenthum in seinem Kreise keine Orthodoxen und keine Reformer, sondern nur Juden, gcsetzes- treue Juden und Gesetzesübertreter, Gesetzesverächter, Offenbarungs- leugner. Darum wurde auch die Bezeichnung Orthodoxie nicht von orthodoxen, sondern von den sogenannten Resormjuden zuerst ge- braucht, welche die am Reltgtonsgesetze unerschütterlich Festhalten- den in einem erniedrigenden Sinne ״Orthodoxe" nannten. Obgleich aber diese Bezeichnung im jüdischen Kreise ursprünglich in einer verächtlichen Bedeutung gebraucht wurde, tragen die gesetzestreuen Juden dennoch kein Bedenken, dieselbe zur Bezeichnung ihres Stand- Punktes anzunehmen, insofern sie Rechtgläubigkeit mit ihren Con- sequenzen im Gegensätze zum prinzipiellen oder gedankenlosen Ab- falle vom überlieferten Judenthume bezeichnet. Diese Thatsache, daß von den sogenannten Reformjuden die ihrer Richtung nicht hul- digenden dem alten. Judenthume Treugebliebenen als ״Orthodoxe" bezeichnet wurden, liefert schon den Beweis, daß im Schooße der Judenheit nicht blos die Sekten der Samaritaner, Sadduzäer, Ka- räer und Sabbathianer es waren, die sich von dem einzig wahren Judenthum losgesagt, sondern daß auch unter den nicht zu den Samaritanern und Karäern gehörenden Juden ein Gegensatz, eine Spaltung existirt. Diese Spaltung wurde auch von den offenen Vertretern der Reformpartei ungescheut zugestanden; der bekannte Heß hat (nach Ersch und Grubers Enzyklopädie II. Sektion, 27. Th. S. 312) bereits im Jahre 1837 in der isr. Abtheilung der Univ.-Kirchenzeitung Nr. 77 die Juden in ״Tälmud-Rabbinische, in

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