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wirklich Freude,׳ die sie empfand, die Leere in ihrer Brust erschien ihr klaffender als je. Und Plötzlich brach sie in Thranen aus, sie weinte, ohne zu wissen warum.
Doch allmählich ward cS klar in ihrem Innern. Wenn sie jene Nachricht nur um drei Wochen srüher erhalten hätte, nur um einen Tag, bevor sie jenen unglückseligen Artikel gelesen, sie hätte denselben nimmer auf sich beziehen können; nun war sie überreich ver- sorgt, konnte frei sich ihren Gatten wählen, bedurfte des Gatten nicht, um versorgt zu sein. — Aber wie war eS doch? — was halte er damals gesägt? — Es widerstrebe seiner Denkungsart, den Haupttheil seines Vermögens seiner Frau verdanken zu müssen.
— Sie preßte die Lippen auseinander — jetzt erst war ihr Bruch besiegelt.
Welten hätte sie darum gegeben, hätte sie jene unglückseligen Worte, zu denen sie sich damals ver- pflichtet gehalten, zurücknehmen können! —" Zwar in gewisser Beziehung konnte sie dieselben auch heute nicht widerrufen — denn sie liebte den Sohn des Sanitäts- rathS nicht, o, gewiß nicht — aber sie mußte beständig an ihn denken, unablässig, Tag und Nacht.
Aber er würde jetzt mit Gewalt die Liebe zu ihr in seiner Brust ersticken, dess' hielt sie sich überzeugt.
— Ob er nicht demnächst eine sogenannte Vernunft- heirath schließen würde? — sie hielt es für wahr^ scheinlich, ein Mann wie er brauchte nur die Hand auszustreckcn, welches Mädchen mit gesunden: Menschen- verstand wurde ihn zurückweisen? war doch selbst sie nicht im Stande gewesen, einen Fehler, eine Schwäche nur an ihm zu entdecken.
Sie vermochte sich des wiedergewonnenen Ver- mögen- nicht zu erfreuen, so sehr sie sich bisher auch darnach gesehnt.
Wiederum waren einige Tage verstrichen, langsam und - eintönig. Es war Abend, Bella hatte dem alten Herrn bereits gute Nacht gewünscht, und hatte sich hinauf in ihr eigenes Zimmer begeben. Da ward plötzlich die Hausglocke gezogen, ihr schriller Klang dnrchhallte das Haus. Der SanitatSrath war ver- muthlich zu einem Patienten gerufen worden. Unwill- kürlich lauschte Bella, ob sie nicht seinen Wagen würde Vorfahren hören. — Doch sie vernahm statt dessen eine ungewöhnliche Bewegung in der unteren Etage, Thüren gingen auf und zu, die Dienstleute schienen hin und her zu rennen. Beunruhigt war Bella eben im Begriff, sich hinunter zu begeben, als die alte Kather'me laut weinend ihr enlgegenstürzte.
״Um des . Himmels Willen! was ist geschehen?" rief das junge Mädchen erschreckt.
״Er wird sterbenl" schluchzte die Me, ״er wird
sterben — der Herr hat ein Telegramm erhalten —' er ist gestürzt."
״Wer ist gestürzt? um GolteS Willen! wer?"
״Der junge Herr — der Herr Friedrich."
Bella stieß einen gellenden SchreckenSruf aus, einen Moment ward es schwarz vor ihren Augen, die Alte sah sie taumeln und wollte sie stützen, doch daö junge Mädchen riß sich loS und eilte die Stiegen hin- unter in das Zimmer des Sanitätsraths.. Ohne an- zuklopfen, was sie sonst nie versäumte, riß sie die Thür auf. Der alte Mann stand vor einem offenen Neisekoffer, in den er einige Effekten zu ordnen schien. Er schien in der verflossenen halben Stunde um ein Jahrzehent gealtert, so bleich, so verstört hatte Bellt ihn noch nie gesehen. Doch als er sich jetzt zu ih. wandte und ihr blasses entstelltes Antlitz gewahrte, da -zwang er sich zur Ruhe.
״Ich muß auf einige Tage verreisen," sagte er, indem er es vermied, ihrem angstvoll fragenden Blicke zu begegnen, ״Friedrich scheint nicht ganz wohl zu sein — Albertine wünscht meine Gegenwart."
Bella preßte beide Hände auf das Herz, eS war ihr mit einem Mal, als hätte sie den Sohn des Sanitätsraths von jeher geliebt, als könne sie das Dasein ohne ihn nicht ertragen — und gleich daraus war es ihr, als trüge sie die Schuld an dem Unglück, das ihn getroffen. Wilde Verzweiflung erfaßte ihr Herz, ihre farblosen Lippen bebten, sie brachte kein Wort hervor.
Der Sanitätsrath hatte sich wieder an seine Arbeit gemacht, ״ich muß mich beeilen," sagte er, ״in einer Stunde muß ich am Bahnhof sein."
״Ist Gefahr vorhanden?" stieß Bella endlich hervor.
Der Samlälsrath zuckte die Achseln. ״Das läßt sich aus der Depesche nicht entnehmen — hoffen wir aus Gottes Hülse.
Da fühlte er plötzlich seinen Arm umklammert. ״Nehmen Sie mich mit," stammelte das junge Mädchen, ״ich ertrage es hier nicht!"
Er neigte sich zu ihr und blickte fragend in ihr bleiches entstelltes Angesicht.
״Ich ertrage eS hier nicht," wiederholte sic flehend, lassen Sie mich mitreisen."
Er neigte zustimmend daS Haupt und seine Hand glitt liebkosend über ihr glänzendes Hand. ״So mußt Du Dich beeilen, Kind, warten kam! ich nicht — in vierzig Minuten müssen wir fort."
(Fortsetzung folgt.)