Dr. Vloch's Wochrnschrifi.

die Verbote der Blutschande, des Götzendienstes, des Raubes, der Gotteslästerung, des Blutvergnßens u. s. w., also Verbote, deren Uebertretung in keinem geordneten Gemeinwesen geduldet werden kann. Wer diese Pflichten auf sich genommen hatte, galt im alten Israel als Proselyt (Ger-Tos chab), und er heißt in der späteren Zeit, wie auch heute noch einFrommer von den Völkern der Welt". Ihm ist ebenso wie dem frommen Israeliten die ewige Seligkeit gesichert, und der Israelit ist nach der Vorschrift der Bibel verpflichtet, ihn zu lieben wie sich selbst. Nun konnte allerdings ein Nichtisraelit ein Be- dürfniß nach engerem Anschluß, nach völligem Aufgehen in der israelitischen Gemeinschaft empfinden und befriedigen wollen. Dann mußte er sich beschneiden lassen und überhaupt die israelitische Religion annehmen. Alsdann wurde er ein 0er-2käsK, ein Proselyt in dem heutigen Sinne des Wortes. Solche Pro- selyten erstanden in den letzten Jahrhunderten des jüdischen Staates in großer Anzahl in allen Schichten der heidnischen Gesellschaft. In der Hasmonäerzeit wurden sogar ganze Völkerschaften, wie die Jdumäer und Jturäer, zur Annahme der Be chneidung gezwungen, doch blieben diese Gewaltmaß­regeln vereinzelt, da der freiwillige Zuwachs ohnehin ein großer war. Hiernach ist auch die Angabe bei Matthäus zu beurtheilen, daß die Pharisäer Land und Wasser umziehen, um einen Proselyten zu machen. Ein grundsätzlicher Missionstrieb ist nicht nachzuweisen, selbst über die freiwilligen Proselyten war man verschiedener Meinung. Esra und Nehemia hatten sich gegen die Fremden ablehnend verhalten, Schammai und Hillel beob­achteten gegen die Heiden, die Juden werden wollten, eine ver­schiedene Haltung, und das Resultat aller Erfahrungen, die man mit den Proselyten machte, gipfelte in der Meinung, sie seien für Israel lästig gleich einem Geschwür. Der etwas starke Ausdruck, der übrigens sein Pendant in dem ungünstigen Urtheil vieler Christen über getaufte Juden findet, wird durch die Erwägung gemildert, daß das Judenthum in der letzten Zeit seiner staatlichen Selbstständigkeit zwischen der griechischen Philosophie und dem jungen Christenthum eingeklemmt war. Es entwickelte sich ein griechisch-christlich-jüdischer Synkretismus, der nicht mehr unterscheiden ließ, wer Heide, Christ oder Jude war, und dieser unklare Zustand, in welchem der reine, einfache Gottesbegriff der israelitischen Religion unterzugehen drohte, konnte natürlich durch die Proselyten nur befördert werden. So wurde man gegen die Proselytenmacherei, die übrigens, wie gezeigt wurde, niemals bestand und welche im Mittelalter die Juden in die größte Gefahr gebracht hätte, auf's Gründ­lichste eingenommen, und diese Anschauung ist den Juden in Fleisch und Blut übergegangen. Es wird keinem Juden in seinem Verkehr mit einem christlichen Freunde jemals der Wunsch beifallen, derselbe möchte ein Jude sein, geschweige, daß er das Verlangen hegt, ihn zum Judenthum zu bekehren. Wir missioniren nicht, und die Gründe dieser unserer Enthalt­samkeit, welche bald als ein Vorzug, bald als ein Mangel betrachtet wird, laffen sich auf Grund der vorausgegangenen Darstellung aus dem Wesen der jüdischen Religion, wie aus dem Verhalten der Juden zu ihr leicht Nachweisen.

Wir missioniren erstens deshalb nicht, weil wir in der langen Zeit unseres Daseinsund durch dieUeberwindung so vieler Gefahren von der Wahrheit unserer Religion zu gründlich überzeugt worden sind. Man halte das für kein Paradoxon! Die Wahrheit ist weder vordringlich noch zudringlich, und wer sie zu besitzen glaubt, dem geht es wie Einem, der wahrhaft liebt: er redet nicht viel davon, er hat ein stilles Genügen. Man spricht von einer tiefen Ueberzeugung, sie ruht auf dem Herzensgründe, und eine gewisse Keuschheit hält sie ab, sich mitzutheilen. Spinoza hat seine Ethik selbst nicht herausgegeben, ebenso haben andere große Männer, Dichter und Künstler, nichts gethan, um ihre Geisteserzeugnisse zu verbreiten, und oft Alles, um deren Verbreitung zu verhindern. Man darf also nicht behaupten, daß es die tiefe Ueberzeugung ist, welche das Be- dürfniß hat, sich hervor- und Anderen aufzudrängen. Sie vertraut vielmehr, daß die Wahrheit sich selbst Bahn bricht. Es ist ein schönes Wort des Psalmisten:Die Wahrheit wächst aus der Erde!" Sie braucht nicht getrieben zu werden. Umgekehrt darf man behaupten, daß oberflächliche Meinungen immer mehr Boden zu gewinnen suchen, weil sie sonst unterzugel en fürchten. Es sei ferne, Jemand zu nahe zu treten, aber nach meiner Meinung ist der Missionstrieb nichts weniger als ein Beweis der eigenen Glaubensgewißheit. Man sucht oft nur Andere zu überzeugen, um sich selbst zu überzeugen. Es ist dies eine eigen-

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thümliche Spielart des voeeucko äiseimus, und man braucht nur auf sich Acht zu geben, wenn man durch Umstände ge­zwungen ist, einen Anderen für eine Sache zu erwärmen, für die man selbst von Haus aus gar nicht so erwärmt ist, wie man durch die eigene Beredtsamkeit selbst warm wird. Mir kommt es in meinem Berufe oft vor, Eheleuten, die sich scheiden laffen wollen, gegenseitig ihre liebenswürdigen Eigenschaften, die sie entweder gar nicht, oder nicht in diesem Maße besitzen, vorzuhalten, um sie zu versöhnen. Da ertappe ich mich zuweilen dabei, daß ich mich überzeugt habe, aber nicht die Ehegatten. Ferner muß man bedenken, daß die Ueberredung Anderer, wenn sie gelingt, rückwirkend ist. umsomehr, je besser sie gelingt. In Prag rief ein Spaßvogel Vorübergehenden zu:In der Langen- gaffe läuft ein Lachs". Die Ersten hielten die Miltheilung für einen schlechten Witz, dann liefen doch einige und allmälig immer mehr Leute hin, um sich den merkwürdigen Fall anzu­sehen. bis zuletzt unser Spaßvogel sich sagte:Vielleicht läuft wirklich in der Langengaffe ein Lachs". Ich kannte einen Arzt, der auf Ersuchen eines Apothekers ein Reclamemittel zusammen­stellte. Als es viel gekauft wurde, versuchte er es selbst. Es braucht nur Einer auf der Straße stehen zu bleiben und in auffallender Weise seinen Blick starr irgendwo hin zu richten, allmalig wird ein großer Auflauf von Menschen entstehen, die überzeugt sind, es müsse was los sein. So entstehen und ver­breiten sich Ueberzeugungen, dringen in immer weitere Kreise und vererben sich, wos sie aber Werth sind, darf man nicht fragen. Es gehört wahrlich nicht viel dazu, um die unsinnigsten Meinungen in Fluß zu bringen und immer weiter zu schwemmen. Ich kann daher nicht der von Mox Mül l er wiederholt vor­getragenen Ansicht beistimmen, daß der Mifsionstrieb das Kri­terium der Vitalität einer Religion sei, und daß jede Religion auf den Aussterbeetat zu setzen sei, welche diesen Drang nicht theile. Ich habe dagegen in dem ersten Bande meiner Geschichte des Erziehungswesens und der Cultur der abendländischen Juden Folgendes bemerkt:Die Lust, Juden zu bekehren und zu taufen nimmt in demselben Grade zu, in welchem die Christ­lichkeit nach den Zeugnissen und Klagen der zeitgenössischen Dichter und Schriftsteller es ist vom 12. und 13. Jahr­hundert die Rede der Veräußerlichung anheimfällt und ab­nimmt. Wenn man die Lieder der Minnesinger und sonstige Schriften dieser Zeit durchblättert, so findet man den heftigsten Eifer für die Judenbekehrung Hand in Hand mit lauten Klagen über die Verweltlichung der Pfaffen und die Abnahme der Christlichkeit überhaupt." Es läßt sich also die Ansicht Max Müller's aus der Geschichte des Christenthums selbst, für welches sie eigentlich erfunden ist, widerlegen. Merkwürdig genug haben einige englische und amerikanische Juden, z. B. die Herren Abrahams und M o n t e f i o r e Herausgeber der angesehenen ZeitschriftJewish Quarterly Review" sich ebenfalls dafür ausgesprochen, daß das Juden- thum Mission treibe. Der letztere behauptet sogar, das Juden­thum müsse missioniren oder "demisfioniren. Aber das ist blos eine englische Anwandlung. England gibt bekanntlich für die Judenmission das meiste Geld aus, und man kann auch hier sagen: Wie es sich christelt. so jüdelt es sich. Wie wahr dies Sprichwort ist, hatte ich Gelegenheit im Gespräche mit einem englischen Rabbiner zu sehen, der die Verheiratung mit der Schwester der verstorbenen Frau, die bekanntlich in England verboten ist. auch seinerseits mißbilligte. Der Engländer hatte also den Rabbiner angesteckt. So wird es sich auch wohl mit den bekehrungslustigen englischen Juden verhalten.

Das Judenthum flößt ferner seinen Bekennern zu viel Toleranz ein, als daß sie die Neigung haben sollten. Andere zu bekehren. Der Außenstehende hat gar keine Ahnung davon, wie viel Toleranz die Juden unter sich üben. Es gibt Schattirungen, Richtungen im Judenthum, die viel weiter von einander abstehen wie Katholicismus und Protestantismus, ihre Vertreter liegen auch wohl in argem Parteihader mitein­ander, aber der orthodoxeste Jude wird nicht behaupten, er gehöre einer anderen Religion, oder auch nur Confession an, als der von ihm bekämpfte und oft verwünschte neumodische Jude. So auch umgekehrt, neumodisch oder orthodox, der eine Jude nimmt nicht Anstand, den anderen für seinen Glaubens­bruder zu erklären. Wenn sie sich aber gegenseitig vertragen, bei oft sehr verschiedener Lebensführung, weshalb sollten sie nicht alle miteinander duldsam sein gegen was immer für Glaubens- bekenntniffe! Nichts fällt dem Judenthum weniger ein, als sich für allein seligmachend zu erklären. Dazu ist es zu tolerant.