Jahrgang Xlll.
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Nr. 13.
Dr. Bloch’s
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Wien, 27. Mär; 1896.
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Inhalt: Leitartikel: Dr. Moritz Steinschneider. — P. Chotkowski. — Eine neueste Stimme zur Jndenfrage. — Praktischer Idealismus.
— Der Präsident der franz. Republik und der Rabbiner von Nizza.— Von den Ufern der Newa. — B oin Jahrmarkt des Lebens: Die verweigerte Satissaction. Der Standpunkt eines Reserve-Officiers. Plenarsitzung der jüdischen Cultusgemcin'ce. Bubokratie. Bergani und die jüdischen Dienstmänner. Bekämpfung einer Baron Hirsch'schen Handwerkerschule. Ter Concurs einer „dentschnotionalen" Buchhandlung. Nathan und Shylock. Berurtheilung eines Pfarrers. Ein Scandalbild. Konfleute und Spitzbnbtn. Antisemitische Presse gegeneinander. Antisemitischer Aberglaube. — Correspond enzen: Wien, Karlsbad, Wieliczka, Brunn. Budapest, Breslau, Warschau, Cambridge, Odessa, Coustantinopel. —Vermischtes: Wien, Prag, Chprow, Randnitz, Graz, Brüru. Preßburg, Eiwauowitz, Glinianp. — Feuilleton: Kinder des Ghetto. Der Flickschneider. — Literatur. — Briefkasten. — Inserate.
Dr. Moritz Steinschneider.
(Zu seinem 80. Geburtstage, 3L März 1896.)
Die Wissenschaft ist international, und in der Ge- lehrten-Republik erwirbt man die Zuständigkeit nur durch seine Leistungen, nicht durch Abstammung und Staatsangehörigkeit.
Wenn wir trotzdem den Umstand hervorheben, daß der große Gelehrte, dessen 80. Geburtstag am 31. März gefeiert wird, ans Oesterreich stammt, so geschieht das, weil das Milieu, in dem er bis über die Zugendjahre hinaus gelebt hat, gewiß von wesentlichem Einflüsse auf seine Entwicklung gewesen ist.
In Mähren, seinem Heimatslande, herrschte damals ein regest geistiges Leben und selbst viele, streng orthodoxe Rabbiner widersetzten sich nicht der Strömung, die eine über die Grenze des talmudischen Studiums hinausgreifende Bildung für unentbehrlich hielt. Ganz besonders that sich in dieser Richtung Proßnitz, die Vaterstadt Steinschneiders, hervor.
Dort hatte man, gegen den Willen des Landrabbiners, nach einander zwei freisinnige Rabbiner, Löw Schwab und Fasset angestellt, dort lebte und wirkte der Onkel Steinschneider's der Arzt Dr. Gideon Brecher, der durch seine gediegenen Leistungen auf jüdisch-wissenschaftlichem Gebiete sich einen ehrenvollen Namen erworben hatte. Und auch in Prag, wohin Steinschneider später auf einige Jahre übersiedelte und wo damals Rapaport und Sachs wirkten, fand Steinschneider eine von eifrigem geistigen Streben erfüllte Umgebung.
Im Jahre 1845 ging er dann nach Berlin, wo er seinen bleibenden Aufenthalt nahm und sich an Zunz in treuer Freundschaft anschloß. Aber all' diese äußeren Einflüsse waren ja hundert Anderen ebenso zugänglich, ohne eine auch nur annähernd ähnliche Wirkung hervorzubringen, wie sie bei Steinschneider sich zeigte; ,daß dieser das geworden ist, was er ist, dazu gehörten eben die hervorragenden, geistigen und sittlichen Eigenschaften, die ihn auszeichneten: scharfer, rasch sich orientirender Blick, wissenschaftlich ge
schultes Denken, strenge Gewissenhaftigkeit und unbestechliche Ehrlichkeit, ein immenses Gedächtniß und die wichtigste Ergänzung dieser Natur gaben, riesiger, nie ermüdender Fleiß!
Das Gebiet, dem er sich ausschließlich zuwendete, und auf dem er die erste, jetzt lebende Autorität ist, war- jüdische Literaturgeschichte und Bibliographie. Es dürfte kaum einen zweiten Schriftsteller geben, der ans so viele Publi- cationen Hinweisen kann wie Steinschneider. Und dabei sind es fast durchweg Schriften von bleibender, wissenschaftlicher Bedeutung, die Jedem, der auf den bezüglichen Gebieten arbeiten will, als Behelfe und Quellennachweise unentbehrlich sind. Um von Steinschneiders Fleiß und geistiger Arbeitskraft einen Begriff zu geben, fei hier eine Schrift erwähnt, die aus Anlaß feines 70. Geburtstages von Toetvr Berliner veröffentlicht wurde und in der seine bis dahin erschienenen Arbeiten aufgezählt werden.
In vier Rubriken getheilt, findet man da aufgezählt :
1. 16 Beiträge zu den Schriften Anderer, 2. 60 Zeitschriften, für die Steinschneider zahlreiche, mehr oder minder- große Arbeiten geliefert hat, 3. 17 Kataloge, darunter der große Katalog der Bodlyana, mehr als 3000 Columnen stark, ferner umfangreiche Kataloge der Bibliotheken zu Leyden, München, Hamburg ete. und endlich 4. 29 selbstständige Werke, gewiß für jeden Anderen genug, um fortan auf seinen Lorbeeren auszuruhen. 'Nicht so für Steinschneider, der im achtenDecennium seines Lebens neben mehreren anderen kleineren Schriften ein großes, zwei starke Oetavbände umfassendes, von der französischen Akademie preisgekröntes Werk: „Die hebräischen U e b e r s e tz u n g e n des Mittelalters und die Juden als Dolmetscher" herausgegeben hat.
Die Schreibweise Steinschneider's ist streng sachlich, nüchtern und frei von allem stylistischen Beiwerk und für den Leser durch die Anwendung mehrfach ineinander geschobener, eingeklammerter Sätze nicht gerade bequem; ganz besonders gilt das von dem Hauptwerke seines Lebens, dem in lateinischer Sprache abgefaßten Kataloge der Bodlyana,