Nr. 47. Dr BlOCh Jahrgang XIV.

Centrslorgsn für die gefammtrn Interessen des Iudenthums.

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Wien, 19. November 1897.

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Inhalt. Leitartikel: Karlsbad antisemitisch. Jung-Jsrael. Ein probates Mittel. Die Solidarität des Antisemitismus.

Vom Jahrmarkt des Lebens: Zum Kampf um's Recht. Kauft nicht bei Juden! Antisemitische Eorruption. Ein mysteriöser Fall. Zur neuesten Judendebatte im Reichsrath. Die Martini-Gänse. Professor Ferdinand Eohn. Max Wolssthal. Oesterreichisch - Israelitische Union. Zur Reform der Armenpflege an der Wiener Eultusgemeinde. Jubiläum und Geschichte der israelitischen Lehrerpräparandie in Budapest. Jüdische Obstructiv«. Korrespondenzen: Wien, Prag, Pilsen, Kremsier, Lemberg, Berlin, Paris, London, Nelv-Z)ork, Alaska. Vermischtes: Wien, Bielitz - Biala, Wiener- Neustadt, Proßnitz, Prag, Meran, Erlau, Budapest. Feuilleton: Abscheu und Liebe. Literatur. Briefkasten. Inserate.

Karlsbad antisemitisch.

Karlsbad, II, November.

Das Gesetz der Compensalion, welches Schopenhauer so überzeugend nachweist, hat sich wieder einmal in augen­fälligster Weise manifestirt. Der eine Weltcurort reinigt sich vom Antisemitismus, der andere besudelt sich mit demselben; während Baden die Judenhetzer aus seinem Rathssaale hinausjagt-, wirft sich die Stadtvertretung von Karlsbad den Racenrittern in die Arme. Jawohl, Karlsbad ist anti­semitisch geworden, die berühmte Heilstätte, zu welcher die Angehörigen aller Völker des Erdballs wallfahrten, deren leben- und gesundheitspendende Kraft Gemeingut aller Menschen ohne Unterschied des Glaubens, Stammes und Standes ist, hat auf seinem Stadthause die Fahne des Judenhasses aufgehißt.

Die Vorgeschichte dieses ebenso schmählichen als un­sinnigen Gesinnungswechsels reicht bis auf die letzten Reichs­rathswahlen zurück und beweist, daß die nationale Bewegung immer und überall die Keime der politischen Eorruption in sich trägt. Karlsbad war von jeher eine feste Burg der deutschliberalen Partei, zu deren Grundsätzen sich auch unsere jüdische Wählerschaft jederzeit freudig bekannte. Sie stellte allerdings den freiheitlichen Inhalt des deutsch-liberalen Programmes mindestens ebenso hoch wie den nationalen In­halt desselben, und nach dem Zusammenbruche der Coalition erkannten auch unsere Glaubensgenossen in Karlsbad die Unabweisbarkeit der Forderung nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechte an. Sie standen damit nicht allein. In ganz Deutschböhmen hatte sich die Erkenntniß Bahn gebrochen, daß das Deutschthum nur im Bunde mit der Freiheit siegreich bleiben könne, und als die Wahlen in die fünfte Curie kamen, stimmte die ungeheuere Mehrheit der Privilegien deutschböhmischen Wähler in allen Wahlkreisen für die socialdemokratischen und gegen die antisemitischen Candidaten.

Im Egerer Wahlkreise aber, zu welchen Karlsbad ge­hörte, war der socialdemokratische Candidat ein Jude, der antisemitische ein Schönerianer. Das Heilo-Deutschthum

rächte sich für seine Niederlage, indem es eine gehässige Agitation gegm die jüdischen Wähler von Karlsbad und deren Führer, den verdienstvollen Stadtrath Dr. Fleisch n er, begann, obgleich es ja offen auf der Hand lag, daß der Sieg des jüdischen Socialdemokraten Dr. Verkauf keineswegs durch die Handvoll jüdischer Stimmen entschieden worden war. Als dann die Sprachenverordnungen erlassen wurden und Schönerer bei den deutsch-böhmischen Liberalen wieder zu neuem Ansehen kam, gewann diese Agitation immer weiteren Boden. Man beschuldigte die Karlsbader Juden des nationalen Verrathes, obgleich sie ja mit der Wahl Dr. Verkaufs nichts anderes gethan hatten, als die deutsch-böhmischen Arier im Teplitzer und Reichenberger Wahlkreise mit der Wahl christlicher Socialdemokraten. Nicht die Confession, sondern die freiheitliche Gesinnung war ja bei diesen Wahlen in der V. Curie maßgebend.

An die Spitze der extrem-nationalen Schreier stellte sich der Obmann des Karlsbader Turnvereins, Stadtrath Dr. H e r r m a n n. Am 8. October faßte dieser im Jahre 1860 gegründete Verein, der seine Blüthe und sein Ansehen zum großen Theil der langjährigen Mitgliedschaft und Unterstützung unserer Glaubensgenossen verdankte, den Be­schluß, daß Mitglieder desselben nur Deutsche arischer Ab­stammung werden kömren. Einen Tag vor diesem denkwür­digen Beschlüsse erschien der christliche Stadtrath Dr. Her r- m a n n bei dem jüdischen Stadtrathe Dr. F l e i s chner und theilte ihm im eigenen und im Namen von vier Mit­gliedern des Turnrathes mit, daß der Zweck dieserAri- sirung" des Turnvereines die Bekämpfung des Einflusses der Juden überhaupt, des Einflusses im Stadtverordneten- Collegium und des jüdischen Stadtrathes Dr. Fleischner insbesondere sei. Damit hatten die Vorgänge im Turnvereine einen Charakter gewonnen, welcher, über den begrenzten Rahmen des Vereines hinausreichend, direct die Gleichbe­rechtigung der Juden im gesammten öffentlichen Leben Karlsbads berührte. Daß die Juden aus dem Turnvereine austraten, ist selbstverständlich; ebenso selbstverständlich war es, daß Herr Dr. F l e i s ch n e r erklärte, mit Herrn Dr. Herrmann nicht mehr zusammen au dem Tische des