Nr. 50

Dr. Blochs

Jahrgang XVII.

Centralorpan für die gelammten Interessen des Iudenthums.

A. k. f'oltlVarcafl'en-'Rnit

LlearinA - VerI: rffr Br. 810.976.

Eebaclion und Administrativ»^ Wien

IX/ 1 , Verggnlle Nr. 89.

Telephon Nr. 14.847.

Wien, 14. Verember 1900.

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Erscheint jeden Freitag.

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Inhalt, Leitartikel: Max Nordau und die Juden in Rumänien. Zur Wahlbewegung in Galizien. Offener Brief an Herrn Dr. Max Nordau in Paris. Vom Jahrmarkt des Lebens: In Oesterreich und in Ungarn. Einige Lehren aus der Wiener Eultuswahlbeivegung. Zur Frauen frage. Gegen die jüdischen Schädlinge. Burenfeier und Eautionsschwindel. Die Eultus- wahlen in Brünn. Korrespondenzen: Oeffentliche Sitzung des Wiener israelitischen Cnltusvorstandes, Wien, Linz a. d. Donau, Butschowitz, Krakau, Budapest, Agram, Berlin, Magdeburg, Rom, Paris, Kiew. Vermischtes. Wien, Wien-Otta- kring, Floridsdorf, Mislitz, Prag, Proßnitz, Teplitz, Waag-Neustadtl. Feuilleton: Traurige Channka. Des Papstes Machtwort. Briefkasten. Inserate.

Max Nordau gegen die Juden von Rumänien.

Aus Bukarest erhalten wir nachstehende Zuschrift:

Geehrter Herr Redacteur!

Das unglückliche rumänische Judenthum, dessen unsagbares Leid das Mitgefühl jedes unverdorbenen Menschen erregt, das Fürsprecher und Vertheidiger an den erlesensten Geistern Europas gefunden, hat mit den zionistischen Führern eine peinliche Erfahrung gemacht.

Auf eine Rundfrage des Redacteurs derNova Revista Romana an eine Reihe bekannter und hervor­ragender Persönlichkeiten Europas, ob den rumänischen Juden vollständige Gleichheit der bürgerlichen und politischen Rechte zu gewährleisten sei, hat Max Nordau, der Führer der Zionisten, mit einem entschiedenenNein" geantwortet.

Dies klingt so unglaublich und ist so beispiellos, daß selbst bei uns das Erstaunen über diese Antwort die Empörung über dieselbe fast übersteigt. Christliche Politiker und Gelehrte sind für uns und unser Recht eingetreten, von überall her wurde im Namen der Menschlichkeit unsere endliche Befreiung gefordert, und auf einmal wendet sich einer unserer Führer, dessen Fahne wir folgten und bestem Wort wir glaubten, auf einmal wendet er sich gegen uns, um uns und unseren Hoffnungen einen Stoß zu versetzen.

Emile Zola, dem gewiß auch Herr Nordau nicht nachsagen wird, daß er sich durchbedenkenfreie Geschicklich­keit im Ränkespiele" hervorthut, hat einen flammenden Appell an die ganze gesittete Welt gerichtet, ihre Bemühungen zur politischen Befreiung der rumänischen Juden zu vereinige», sei» würdiger Kampfgenosse Trarieux ist namens der französischen Liga der Menschen- und Bürgerrechte diesem Beispiele gefolgt und sein Aufruf klingt in dem herrlichen Satze aus:Ueberall, wo, wie in Rumänien, die Principien der französischen Revolution hingedrungen sind, kann die Menschheit nur aus Menschen bestehen, die vor den Gesetzen ihres Vaterlandes gleich sind!" Dr. Max Nordau hingegen hat sein Votum gegen uns und unsere politische Emancipation abgegeben.

Wenn Sie erwägen, daß alle Hoffnungen der gepeinigten und gemarterten rumänischen Juden nur an den Gedanken sich klammern, daß die Regierung und die herrschende Kaste vor dem Auslande sich zu schämen anfangen; daß wir nur von dem Einflüsse des Auslandes die endliche Erlösung er­warten, dann werden Sie die verhängnißvolle Bedeutung würdigen des Freibriefes, den Nordau unseren Feinden ausgestellt hat.

Und Nordau hat sich mit einem einfachenNein" nicht genügen lassen. Er fügte ausdrücklich hinzu, daß er der Ertheilung der politischen Rechte an die Juden im Interesse derselben und im Inter­esse des rumänischen Volkes entgegen sei. Nur die bürgerlichen Rechte will er uns zugestehen, Rechte, die werth- und gewichtlos sind, wo die Möglichkeit zu ihrer Verteidigung genommen ist.

In den Schrei der Empörung, mit dem das jüdisch­rumänische Volk seinem verräterischen Führer antwortet, mischen sich Laute eines unschilderbaren Wehes und einer schmerzlichen Enttäuschung.

Wir rumänischen Juden haben uns dem zionistischen Programm mit dem ganzen Enthusiasmus des Unglücklichen angefchlossen, der von Rettung hört. Nirgends fanden sich begeistertere Verkünder der Baseler Lehre, nirgends gläubigere, opferwilligere Anhänger. Und nun ist nicht nur unfern Feinden eine mächtige Waffe gegen uns geboten worden, die sie wohl zu benützen verstehen werden, es geschah auch von dem Anführer einer Bewegung, der einst unsere Hoffnungen und unsere Begeisterung galten und an deren Werckh und Berechtigung wir bei solchen Vorkommnissen allgemach zu zweifeln beginnen.

Und es ist nicht das erstemal, daß sich ein Zweifel in uns regt. Als Herr Dr. Herzl in der diesjährigen Generalversammlung derIsraelitischen Allianz" Ihrem Anträge, geehrter Herr Redacteur, die europäischen Finanz- Mächte zu veranlassen, der rumänischen Regierung das ange­strebte Anlehen nicht zu bewilligen, solange sich die Lage von uns Juden nicht verbessert habe, entgegentrat, waren wir bestürzt. Wir konnten den Grund und den Zweck dieser Opposition nicht verstehen.