Ur. 44
Jahrgang xixni
Dr. Bloch’s
Zentralorgan für die gesamten Unteressen des Judentums.
Wien. 10. November !9lt>
Lrscd ein r jeden jf r e 11 a g. —:—
Brief-Adceffe: Wien, II/i, Praterstraße 9. Telegramm-Adresse: Bloch's Wochenschrift, Wien.
O o - — - o O
^ Drr'.rgoprrro für Vesterrrrch: Q Halbjährig 8 Kronen. Einzelexemplare 50 Heller.
Für das Ausland: Halbjährig 10 Kronen. ^ Ganzjährig 20 Kronen.
Anzeigen: Die 2mal gespal- ^ tene Petttze.le 48 Heller. £
Q O ■■ — O o
A. ft. Po stsxarftafsenainr
Clearings» iDerfcebr Nr. 810.976.
Redaktion und Administration: w krn
II/i, Praterstraße 9. Telephon 45.359.
Inh rlt: Leitartikel: Wiedererrichtung eines selbständigen Polenstaates. — Der Gerichtssaal und der Burgfrieden. — Kriegsdekorationen jüdischer Offiziere und Soldaten. — Weitere Auszeichnungen. — Die grosse Silberne in der Verteidigung Siebenbürgens. - Außer tourliche Besörderung. — Ein neuer Feldrabbiner. — Begräbnis in der syrischen Weste. — Auszeichnung nach dem Tode. — Wer ist also der Drückeberger? — Rumänische Grausamkeit. — Schlechte Deutsche in Südafrika. — Deutsche Inden in der Fremde. — Ein jüdischer General in Amerika. — Korrespondenzen: XVI. Tätigkeitsbericht des Arm.n-Ambulatoriums des Zionistischen Zentralkomitees für Kriegsslüchtlinge. — Aufruf! — Galizische Flüchtlinge in den Dörfern. — Prof. Tr. Braun. — Regierungsrat
Dr. Frankfurter.- Vermischtes. — Feuilleton: Eriiinerungeu an Professor Paul Ehrlich. - Lite atur. — Briefkasten.
— Notiz. — Inserate.
Wiedererrichtung eines selbständigen Polen stantes.
Sonntag, am 5. November 1916, ist das Königreich Polen neu erstanden. In Lublin wurde im Namen Seil:er Majestät des Kaisers von Oesterreich und in Warschau im Namen Seiner Majestät des Deutschen Kaisers unter den Schauern geschichtlicher Weihe das neu erstandene Königreich Polen proklamiert.
Kaum auszudenken und nachzusühlen sind die Stimmungen, zu denen jetzt das von langem Drucke niedergebeugte Polenvolk sich mit einemmale erhoben suhlen muß, wenn die an allen Mauern prangenden Anschläge ihm versichern, daß die dunkle Vergangenheit nicht mehr wiederkehren wird, daß sie endgiltig einer lichteren Zukunft gewichen ist. Vor den Augen der Hörer und Leser der elvig denkwürdigen Manifeste werden in unübersehbaren Reihen die Märtyrer vorüberziehen, die in Ausständen 'und Befreiungskriegen ihr Blut dahingegeben haben, um das polnische Volk den Peinigungei: der zari- schen Knute zu entziehen. Wieviel Elend hat der Herr der sibirischen Kerker und Bergwerke über dieses Land und seine Bewohner gebracht, wieviele Unschuldige find aus dieser ihrer Heimat mit Tränen in den Augen vertrieben und verschleppt worden, um mit einem Fluche auf den Lippen in der Fremde zu sterben! Das alles kann nicht vergessen und nie verwunden werden, und der Name des Zaren wird auf diesem Boden nie ausgesprochen werden, ohne Furcht und Schrecken in den Herzen zu erregen, wie sie im Alpdruck über die Gemüter kommen, wenn die Erinnerung an unsägliches Leid vom Traume herangeführt wird.
Auch für die Millionen Söhne des jüdischen Volkes in den polnischen Marken beginnt ein neuer Geschichtsabschnitt. Auch ihnen sind die Sklavenketten des völkermordenden Zarentums gelöst und sie jubeln ob des günstigen Geschichtswandels in der Voraussetzung, daß das Polenvolk der hohen Gnade, mit der eine gütige
Vorsehung es nunmehr ausgezeichnet, durch Weisheit und Gerechtigkeit, Menschenliebe und Völkerfreundlichkeit sich würdig erweisen werde.
Die Oef,entlichteit im Deutschen Reiche verfolgt das gewaltige historische Geschehnis, das sich vor uns vollzieht, nicht ohne Zagen und Bedeuten, und auch die Stimmung in manchen jüdischen Kreisen ist nicht wesentlich anders. In den letzten Jahren vor dem Weltkrieg wütete in Polen ein förmlicher Ausrottungscrieg gegen die Juden. Der Ausbruch des Krieges hat die ee Bewegung lernen Halt geboten und mancherlei Vorgü.rge haben ja traurige Berühmcheit erlangt. Dieses Kapitel ausführlich zu zeichnen, wollen wir uns heute lieber versagen.
Es ivird und muß ein Wandel eintreten, und bei dem Charakter des polnischen Volkes, bei dem Temperament, mit dem es gesegnet ist, kann man fast mit mathematischer Sicherheit Voraussagen, daß innerhalb einer kurzen Periode lim historischen Sinne gemeint) auf diese antisemitische Bewegung eine philo- semi-ische folgen wird. Das ist uinfo wahrscheinlicher, da das polnische Volt sich schon früher vielfach durch Toleranz auszeichnete. In reiner europäischen Literatur haben die größten Dichter und Künstler sooiele Werke der Liebe und Achtung den Juden gewidmet, wie in der polnischen.
In Galizien geboren, habe ich, wie jeder galizische Jude, für die Polen die herzlichsten Smnvathien gehegt. In öffentlichen Reden habe ich io oft ihren ritterlichen Sinn, die Hochherzigkeit ihres Charakters hervor gehoben und versprach mir von diesen Eigenschaften einen günstigen Rückschlag jür die Inden, wenn günstige Zeiten für die Polen tagen sollten. Ein Volk, das soviel litt, über dessen Criste nz ein schweres Schicksal zermalmend dahinrollte - dem man seine Selbständigkeit, seine na tionalen Eigentümlichkeiten, seine Schulen, seine Lieder nahm, dessen Adel und Intelligenz erpatriiert und er-i wer wurden, dessen Besitz der Konfiskation und der Verstau, lichung verfiel —, werde nach wiedererlangter Freiheit auch