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Dr. Bloch's Wochenschrift
Nr. 44
anderer Leute Leid und Weh achten und Mitempfinden. Dem Volke der Juden wurde nach seiner Befreiung von der Tyrannei der Pharaonen als hehres Gebot eiilgeschärft: „Ihr sollt nicht tun nach Len Werken der Aegyp- ter, ihr sollt euch auch nach ihren Gesetzen nicht richten." (III. B. M., 18, 3.) Und immer und immer wieder wird das Volk daran erinnert: „Gedenke, Laß du Silane gewesen in Aegypten." Auch die Polen werden die Lehre ihrer Leidensjahre nicht vergessen. In früheren Zeiten betrachteten die Polen selber sich als ein schicksalverwandtes Volk der Juden, wenn auch verschieden in Abstammung und Charakter. Wie wir, unterlagen sie der Uneinigkeit; wie sie, verteidigten wir heldenmütig unser Vaterland; uns wie ihnen nahm mau die Herrschaft unserer Reiche, die politische Individualität, und warf die Zerstückelten Körperteile unter- andere Völker. In Zeiten der Erniedrigung und der Enteignung haben sie sich freundlich den Juden genähert, wie Landsleute, die sich in der Fremde unter gleichem Leid treffen. Die Edelleute, die in Paris konspirierten oder in Warschau revoltierten, ließen ihre Besitzungen von Juden verwalten und ihre Feudalrechte verwerten. Es gab keinen Edelhof ohne Juden, der nicht bloß als Verwalter, sondern auch als Berater und als Familienfaktotum funktionierte.
In den Dörfern saß der Jude in Erbpacht gcnera- tionenlang 'im Wirtshaus, in der Brennerei, in der Wassermühle, im Holzschlag. Der ganze Handel ruhte neidlos in seiner Hand; niemand verlangte darnach, ihm das Brot Au nehmen und niemand sah's scheel, wenn, sich der Jude durch Fleiß, Sparsamkeit und Intelligenz zu selbständigem Besitz enrporarbeitete, wenn aus dem Pächter ein Grundherr geworden.
Wann die Juden in Polen eingewandert sind, läßt sich mit Sicherheit nicht bestimmen.
Naruszewicz behauptet in seiner polnischen Geschichte, daß die Juden in Polen sich seit undenkbaren Zeiten angesiedelt haben. Gewiß ist jedoch, daß die Lage der Juden in Polen bereits in grauer Vergangenheit eine glückliche war.
Die Regierungszeit der Piasten, welche mit Kasimir dem Großen ihren Abschluß fand, zeichnete sich durch besondere Toleranz gegenüber den Juden aus. Das Königreich Polen war oft eine Zufluchtsstätte für die unglücklichen Juden, welche den grauenerregenden Verfolgungen in den benachbarten Staaten und im fernen Westen entgehen konnten. Hier genossen die Juden, gestützt auf ihre Privilegien, Freiheit, betrieben Handel und Handwerk, konnten überall wohnen, besaßen große Güter und lebten in friedlichem Einvernehmen mit den anderen Bewohnern des Landes.
Der Name Kasimirs des Großen glänzt in der jüdischen Geschichte als der eines großen Wohltäters.
Auch die Wahlkönige, in deren Adern polnisches Blut floß, vergaßen nicht „ihrer treuen Juden". Die feindselige Strömung, welche die kurze Regierung H e i n- richs de Valois wachrief, dämpfte rasch der bekannte „Universal" des Königs Stefan B a t o r y, ihm war ein Starosta und ein Jude gleich vor dem Gesetze, er gestattete den Juden ausdrücklich, auch an christlichen Feiertagen Handel zu treiben, und machte die Behörden für Judenverfolgungen verantwortlich.
Erst in den letzten Jahrzehnten ist innerhalb des Polentums eine judenfeindliche Bewegung mit einer Heftigkeit ausgetreten, die, allen edlen Traditionen zuwider, den polnischen Namen schwer geschädigt hat.
In einem interessanten Briefe des Grafen Law er Korezak--,Branicki in Paris an seinen Verwandten, den Geheim rat Grafen T a r n o w s k i, Präsidenten
der Akademie der Wissenschaften in Krakau, Herausgeber der Polnischen Rundschau „Przeglod Polski", iuirb, als Beweis der UnttaLnrliclpeit eenes polnischen Antisemitismus, an solgende Tatsachen erinnert:
„Wer weiß nichts über Estertä?
Von damals ab bis zur Zeit Jan Lazimirz' genossen sie (die Juden) viele Privilegien, dennoch, wie es Lyromten behaupten, bildeten sie kein Volt im Volte. Von Casimir dem Erogen bis Zygmunt III. entwickelte sich eine Epoche, die, wie man uns lehrte, die blühende zu nennen ist, denn kein Land in Europa tonnte sich wie Polen rühmen, daß dort .Gewissensfreiheit herrsche."
„War -es Sitte oder Gesetz, aber jeder Jude, dessen Taus- pathe ein Edelmann war, wurde adelig. Viele vornehme Familien stainmen aus den Erulanten aus Jerusalem. Sowohl Stanislaw T a r n o w s k i, der Sprößling alter polnischer Magnaten, als auch ich, Tawery Korczat E r a n i ck i, vom alten Adel bis aii meinen Großvater Franz Taoer, Grotz-Hetmann der
Krone, können nicht behaupten, das; in unseren Ädern nicht, wenn auch nur wenig Blut Abrahams rinnt. Leicht läßt sich das erklären. Die neugetauften Juden zeichneten sich durch Unter- nehniungslust, d. h. Betriebsamkeit und Sparsamkeit aus, sie hielten fest den Groschen zusammen. Nicht so verhielt es sich not dem alten .Adel, er mutzte zuweilen jfeiu Wappen neu
vergolden. (Ls ist wirklich zum Pannen, warum gerade die
jenigen Familien, welche von Juden stammen und die ich hier nicht nenne, warum gerade eben diese, wiederhole ich, den Juden an: schärfsten aufs Korn nehmen. — Und wenn ihre Züge die orientalische Abstammung verraten, so wird die Schuld auf die V erschwägerung mit den Armenianern geschoben."
„Seit der Zeit des Jan Cazimirz' wurden die Juden verächtlich angeseheil, deshalb haben sie auch wenig an der Bewegung unter Kosciuszko teilgenommen."
„Am (Lude des vorigen Jahrhunderts tauchte Rabbiner Franck aus, den der Ordinat Zamojski als Pate uns der Taufe ge
hoben."
/.Ich weiß nicht, wieso es kam, -aber der Getaufte blieb
ferner Rabbiner. Gr starb in Offenbach b. Frankfurt und hinterlietz 920,000 Francs oder Gulden Schulden, da er großen Aufwand trieb und noch mehr an Wohltätigkeit verausgabte."
„Er hatte im allgemeinen ein großes Ansehen."
„Als Napoleon I, die Verhältnisse der Juden regeln wollte, berief er auch Franck zu den Beratungen. Viele aufgeklärte Juden folgten dem Beispiele Franü's und überlraten entweder zur
katholischen oder protestantischen ^Kirche, hauptsächlich in jenem Teile Polens, aus welchem später das Großherzogtum Posen entstand."
„Dieser gesellschaftlichen Schichte und den aufgeklärten Juden verdankt Kongretz-Polen sein Bahnnetz, wie auch die Entwicklung der Tücher- und Wollfabriken, überhaupt den Aufschwung in Handel und Industrie. Andere wiederum, nach Beendigung der Rechtsstudien, wurden angesehene Anwälte, wieder andere bildeten sich zu tüchtigen Aerzten heran."
„Adam M i ck i e w i c z, mit dein ich sehr intim lebte, pflegte zu sagen: „Mein Vater war ein Mazur, meine Mutter eine Ma- jewsla, von den Konvertiten nun bin ich halb Lechite (Pole), h a l b II s r a e l i t, und das macht mich st o l z." Zurzeit des Fürstentums Warschau galt Berko, der bei Kock gefallen, als einer der tüchtigsten Oberster!. Viele Offiziere stammten von den Konvertiten."
„Im Jahre 1848 zogen manche Juden aus Kongreß-Polen nach Ungarn. Ich bin ihnen in der türkischen Armee begegnet. F r e u n d t, der auch so wie ich aus Warschau war, avancierte zum Muschir (F e l d m a r s ch a l l) unter dem Namen Mahmud Pascha."
„In den Jahren 1860—1863 haben viele Konvertiten und Juden sich für den Aufstand erklärt, wie tz. B. der verehrte Rabbiner M e i s e l s, für welchen die Polen und die französischen Juden nach dem Tode einen Trauergottesdienst in Paris abge- gehalten haben."
/Mehrere Inden fielen im Aufstande, viele wurden Zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschleppt. Rawicz und andere starben den Tod der Märtyrer. Wiewohl ich infolge von Umständen Franzose, und zwar nicht nur zum Scheine geworden und zu keiner Partei gehöre, aber mit gesundem Verstände urteilend, sage ich ohne zu fragen, ob es Herrn Dr. P. in Rom gefällt oder nicht, daß die Juden und Konvertiten ihre Gleichberechtigung wenigstens in Kongreß-Polen verdient haben."
„Als Franzose war ich Mitglied des Pariser Komitees zur Unterstützung der polnischen Sache im Jahre 1863. Am meisten Geld strömte herbei von Juden, und zwar aus Californien, Aegypten und anderen Ländern; zu den französischen Sammlungen haben wiederum die französischen Juden am meisten beigetragen."
„Ich erinnere mich, einmal waren wir drei zusammen, Adam M i ck i e w i c z, Zygmunt K r a s i n s k i und Ihr ergebener Diener. Mickiewicz sagte: „Der erste Gesandte des unabhängigen Polens in London wird sicher ein Jude sein." Als Zygmunt das hörte, glaube ich, erfaßten ihn Krämpfe; was mich betrifft, sagte