Mendelssohns Erläuterung zum Ersten Wort und über die Anordnung des Zehnworts 1 ).
Deutsch von Nahuni Norbert Glatzer.
„Ich bin der Em ige, dein Gott".
Von da bis „und meine Gebote halten" 3 ) ist nach den oberen Tonzeichen 3 ) Ein Satz, obgleich es ja zwei Gebotsworte sind; du weißt aber, daß die'oberen Tonzeichen sonst nach jedem Gebotsworte absetzen; danach wäre der Satz eigentlich nach dem-Ausdruck „aus dem Hause der Sklaven" 4 ) zu beenden gewesen. Die beiden „Worte" aber sind im höchsten Grade verbunden, da in ihnen Gott in der ersten Person spricht; wie unsere Lehrer, ihr Andenken zum Segen, gesagt haben*): „Ich b i n" und „Du sollst nicht haben" — aus dem Munde der Allmacht selbst haben wirs gehört. — Nun aber umfassen nach der Ansicht des Maimonides 0 ) diese zwei „Worte", ein Gebot und vier Verbote, 7 ) da er, der Meister, sein Andenken zum Segen, den Spruch „Ich bin der Ewige dein Gott" als Gebot für sich zählt, nämlich, daß man glaube, es gibt Urgrund und Ursadie, die alles Dasein bewirkt hat. Der Verfasser des Buches der Erziehung 3 ) fügt noch hinzu: „und daß Er es mar, daß Er es sein wird, daß Er es ist für und für, der uns aus Aegypten geführt hat und der uns die Thora gegeben hat"; so mit den Worten des „Großen Buches der Gebote" 0 ); der Verfasser des „Kleinen Buches der Gebote" 10 ) und Nachmanides, u ) sein Andenken zum Segen, fügen noch andere Grundlehren hinzu, die nach ihrer Meinung von diesem Satze umfaßt werden; der Verfasser der „Großen , Gesetze"* 2 ) aber, zählt den Glauben an die Gottheit als Gebot nicht auf, denn nach seiner Meinung sind alle die sedis- hundertdreizehn Gebote — Bestimmungen des Heiligen, gelobt sei Er, die er über uns bestimmt hat, daß wir sie tun, oder, indem er uns wehrt, damit mir sie nicht tun; der Glaube aber an Sein, des Erhabenen, Dasein, der ja Grund und Wurzel ist, aus der die Gebote entspringen, der tritt in jene Rechnung nicht ein. Ebenso ist die Meinung des Rabbi Israel Isserlein 13 ) in seiner Auslegung der Tliora, das Wort „1 c h bin der Emige dein Gott" sei kein Gebot, meder eins für den Glauben noch eins für das Tun, sondern die Voraussetzung für die Gebote und die Verbote, die ausgesprochen merden in den übrigen Worten; sein Inhalt aber soll kundtun, wer es ist, der diese Worte redet, daß es kein Engel ist, der zu ihnen als Dolmetsch redet, vom Schöpfer, Er sei gelobt, aufgeboten, mie dies ja bei allen übrigen Propheten ist; Er aber ist die erste Ursache, ohne einen Mittler. Soweit der. Nun aber scheint es nach der einfachen Interpretation der Schrift auch so zu sein, wie jene es sagen: daß Gott, Er sei gelobt, das Wort „Ich bin der Ewige dein Gott" nur für den gesprochen hat, der an sein Dasein glaubt, nicht aber liat sich der Heilige, gelobt sei Er, auf den Berg Sinai darum herabgelassen, um sein Volk zu lehren, er habe Dasein, ein notwendiges Dasein, ohne Grenze und Ziel, oder ähnlidies an wahren und beständigen Begriffen; dies ist vielmehr Frucht der Untersuchung und des Begreifens des göttlichen Werkes und Seiner Hände Tat, wenn Er einen begnadet, die Größe Seiner Tat zu erkennen, an Gestein, an Pflanze, an Tier, am Menschen selbst, wenn er „aufwärts seine Augen hebt und sieht, wer diese erschaffen hat: Er, der herausführt nach der Zahl ihr Heer" 1 *): den hat Er begnadet. Wer aber diese Stufe nicht erreicht, der muß jene Begriffe von einem sie erlangenden Menschen übernehmen, der glaubwürdig ist, ihn die Wahrheit zu lehren, .mie sie in seinem Herzen ist; nidit aber würden jene Begriffe sich bewahrheiten, nicht sich befestigen im Herzen der Toren und unmöglich würden die sie erlangen: auch nicht durch ein göttliches Wort „Ich habe Dasein", nidit durch „Donner und Blitz und dichte Wolke und Trompelenschall" 1 *). Denn in all dem ist kein Zeugnis
Anmerkungen zur Ueberseizung:
1.) Aus dem „Biur". dem hebräischen Bibelkommentar des Mendelssohnschen Kreises. Die Erklärung des Zweiten Buches Moses ist von Mendelssohn selbst. Die Uebersetzung richtet sich so gut es geht nadi dem Sprachgut Mendelssohns und zitiert die Heilige Schrift nach seinem Bibelwerk. — 2.) Ende des zweiten Gebotes. — 3.) Altüberlieferte Singzeichen, die in musikalischer Form, Worte verbindend, trennend, den Satzbau gliedernd und also erklärend, den biblisdien Text begleiten. Für das Zehngebot gibt es zwei Versionen dieser Zeichen: hier werden die „oberen" für die Erklärung der Stelle ausgewertet. — 4.) Ende des ersten Gebotes. — 5.\ So wird ein Ausspruch aus dem Talmud oder Midrasdi eingeleitet. — 6.) Rabbi Moses ben Maimon, 12. Jahrhundert. — 7.) Das Gesetz — 248 Gebote und 365 Verbote — ist in seinen Einzelheiten in der Heiligen Schrift begründet; die Interpretationen erforscht diesen Zusammenhang. — 8 ) Sefer ha-ehinnuch von Rabbi Ahron ben Josef ha-Levi. 13. Jahrhundert. — 9.) Sefer mizwoth gadol von Rabbi Moses aus Coucy, 13. Jahrhundert. — 10.) Sefer mizwoth Katan von Rabbi Jizdiak aus Corbeil, 13. Jahrhundert — 11.) Rabbi Moses ben Nachman,13. Jahrhundert. — 12.) Haladioth gedoloth von Rabbi Schimon Kahira. 8. Jahrhundert. — 13.) 15. Jahrhundert. — 14.) Nach Jesaja 40. 26. — 15.) Nach II. B. M. 19, 16.
und Ermeis für jene spekulativen Begriffe, außer für den, der an das Dasein Gottes glnuH. Denn auch jene, die es durch Wort und Ausspruch eines Lehrers übernehmen, müssen vorher glauben, daß der Lehrer glaubmüriigen Geistes ist und nichts verfälschen mird; ist nun der Lehrer — Gott selbst, gelobt sei Er, in seiner Herrlichkeit, dann muß der Hörende vorher glauben, daß Er der wahre Gott ist.
So ist nun in Wahrheit die Sache also: Israel, „den Gläubigen, Söhnen von Gläubigen", 10 ) war Dasein und Einheit Gottes kund und sie glaubten daran: ein 'Teil durch t'or- sdiung eigenen Herzens, ein Teil durch Uebernähme von den Vätern, den glaubwürdigen, oder von den Großen und Weisen des Gesdilecnts. So kam jener Gebotssprudi hur, um sie zum „besonderen Eigentum unter allen Völkern" 17 ) zu einigen, daß sie ein „heiliges Volk" dem Emigen seien unier den Völkern der Erde, wie ichs noch erklären werde.
In all den spekulativen Begriffen, deren mir gedacht haben, besteht kein Unterschied und kein Vorzug für die Kinder Israels gegen die übrigen Völker, denn alle bekennen Seine, des gelobten, Göttlichkeit; auch die Diener „Anderer Gölter" bekennen, daß ein Höchster Gott die größte Kraft und das vollkommenste Vermögen hat, wie es unsere Lehrer, ihr Andenken zum Segen, gesagt haben: Sie nennen ihn „Gott der Götter, und wie die Schrift es sagt: „Denn hodigepriesen ist mein Name unter den Völkern, von Sonnenaufgang bis zum Untergang. Allentlialben wird meinem Namen geopfert und geräuchert, und mit reiner Andacht geopfert" (Maleachi 1,11); und das hatte wohl auch der Sänger im Sinn, als er bedadite: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, seiner Hände Werk verkündet die Veste. Keine Lehre, keine Worte, deren Stimme man nicht höre" (Psalm 19, 2. 4.); der Sinn ist: jener Gedanke breitet sich „ohne Lehre und Wort" in der Welt aus; denn alle Lehre und alles Wort wird nur dem kund, der jene Sprache versteht; die Erzählung des Himmels aber und des Händewerks Gottes verstehen alle, die in die Welt kommen; hier ist keine Lehre, kein Wort, das nicht erhört und oerstanden werden könnte von allen Menschen, denn „über den ganzen Erdkreis tönt ihre Saite; ihr Vortrag dringt so weit, als die bemohnte Welt". (Psalm 19, 5). — Nach all dem aber, mird der Vorzüglichkeit der Thora gedacht, die „ein Erbteil der Gemeinde Jakobs" 16 ) ist, dem Volk Seines Eigentums zugeeignet, darin sie sich von den übrigen Völkern der Erde unterscheiden, daß er sie „zum hödisien unter allen Völkern werden lasse" 10 )
Die Völker der Welt aber, obmohl sie sich zum Dasein Gottes und seiner Allmacht bekennen, dienen dennoch dem, des außer Ihm Dasein hat: ein Teil dient den Gemalten der Höhe und glaubt, der Ewige habe jedem ein Volk, ein Land, einen Bezirk zugeteilt, darin zu herrschen und daß ihre Hand mächtig ist, Böses oder Gutes zu tun, ihrem Willen gemäß; die nun werden von der Thora und den Schriften „Andere Götter" genannt, wie es Nachmanides, sein Andenken zum Segen, zu diesem Absatz gesagt hat; auch „Götter der Völker", mie ja auch Engel „Götter" genannt werden. Ein anderer Teil dient den Sternen des Himmels oder Dämonen oder Menschen, von denen er Bilder und Schniizwerke macht, und bückt sich vor ihnen, wies bekannt ist. Nun aber ist nach dem Urteil der Vernunft nicht entschieden, daß solcher Dienst dem Noadiideri 10 ) verboten sein müßte, solange er sich dem Bereidi des Höchsten Gottes nicht entziehen will, — denn was verpflichtet ihn, allen Dienst und alles Gebet auf den Ewigen allein zu richten? Hofft einer Gutes oder fürchtet Böses von etwas her, das außer Ihm Dasein hätte, bekennt aber, daß auch es . unter die Hand des Höchsten Gottes gebeugt ist, so kann jedenfalls die Vernunft nicht davon abhalten, daß er schlachte, räuchere, trankopfere und bete zu diesem Daseienden, sei es ein Engel, ein Teufel, ein Mensch, ein Held, ein Gewaltiger oder ein Herrscher. Wer könnte sagen, daß all diese Dienste dem Ewigen allein geziemen, — wenn nicht der Heilige, gelobt sei Er, uns in seiner Thora deswegen gewarnt hätte. Und wirklich sagten unsere Lehrer, ihr Andenken zum Segen, den Noachiden märe Zugesellung 21 ) nicht
16.) Ein altes Wort. - 17.) Nach IL B. M. 19. 5. — 18) Nadi V: B. M. 33, 4. — 19.) Nach V. B. M. 26,19. - 20.) „Die Söhne Noadts", — die -Menschheit also, die nach jüdischer Gesetzesanschauung „Sieben Gebote" als Grundlage des Ver- hältnisses zu Gott und den Menschen auf sich nimmt. — 21.) Anderer Gottheit, I Polytheismus.