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8. Jahrgang Frankfurt a. M, Mai 1930 Nr. 9

Die Schriftleitung übernimmt für den Inhalt des Gemeindeblatts nur die preßgesetzliche Verantwortung. Nachdruck nur mit Erlaubnis gestattet.

Aus dem Inhalt

Die jüdische Religionsphilosophie Hermann Cohens

(L. Löwenthal)....... f ..........357

Hermann Cohen und der jüdische Zeitgeist (A. Gurwitsch) 359

Schiller im hebräischen Gewände (B. Segel)......361

Statistik , der Frankfurter Juden (J. Unna) .......364

Amtliche Anzeigen des Gemeindevorstands.......368

Aus den Gemeinden................. . 369

Die jüdische Religionsphilosophie Hermann Cohens

Von Dr. Leo Löwenthal.

Mit der Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert vollzieht sich schrittweise auch ein Prozess in ihrer Geistes­geschichte, der in entscheidendem Masse ihre wichtigsten Gebiete in Abhängigkeit von der allgemeinen gesell­schaftlichen Situation bringt. Dieses Schicksal trifft also auch die Religionsphilosophie. Nicht nur für die Juden, sondern für die bürgerliche Gesellschaft überhaupt bedeutet das 19. Jahrhundert die völlige Zerstörung der absolutistischen Ordnung und die Aufrichtung der kapita­listischen Wirtschaftsform und ihrer politisch-staatlichen Bedingungen. Die geistigen Energien richten sich ganz deutlich wird das nach Hegels Tod nicht mehr auf die theoretische Auseinandersetzung mit einer veralteten, aber noch bestehenden Lebensordnung, sondern haben un­mittelbar auf die Praxis, auf die Gestaltung der Tages- fragen und Tageskämpfe zu zielen. Die positiven Wissen­schaften, die politische Theorie, die journalistische Tätig­keit sind trotz ihrer scheinbaren zusammenhangslosen Einzelarbeit und Vereinzelung an die Stelle der theologi­schen Diskussion und der Philosophie getreten. Schränken wir diese Bemerkung auf den Kreis jüdischer Menschen ein, so bedarf es nur des Hinweises auf Männer wie Heinrich Heine oder Karl Marx oder Paul Ehrlich, um das Gemeinte zu erhärten.

Mit der Jahrhundertwende beginnend setzt eine Ge- jrenbewegung gegen die positivistische Tatsachenfreu­digkeit ein. Ihr ..Materialismus" undNaturalismus" wird angegriffen, der Verrat jeder idealistischen Orientierung ver­femt, kurzum, die Philosophie beginnt wieder wie in den Zei­ten der grossen Systeme und der bürgerlichen AufkTärungs- bewegung in Westeuropa allen theoretischen und praktischen Tagesfrasren gegenüber ihren ersten Platz anzumelden. Aber freilich sind die Voraussetzungen, unter denen sie das tut; sehr verschieden. Denn handelt es sich im. 18. Jahrhun­dert darum, "die feudale und alsolutistische Herrschaft zu stürzen und die geistieen Voraussetzungen für die bürger­liche Gesellschaft zu schaffen, so ist die Rolle einflussreicher Strömungen der modernen Philosophie in den letzten Tahr- zehnten nicht zu trennen von der neuen Ordnung der Klas­sengesellschaft, deren siegreicher Flügel e'ne Verklärung

Anstalten und Vereine, Versammlungskalender..... 371

Bücherschau ..................... 377

Veränderungen im Personenstand........... 378

Persönliche Nachrichten................ 378

Gottesdienstlicher Anzeiger.............. 380

Statistische Uebersicht................. 382

des Bestehenden begrüsst. Die Gegensätze der bürgerlichen Gesellschaft, dnrch die Entwicklung der wissenschaftlichen und technischen Kräfte gefördert, in der sozialen und poli­tischen Theorie aufgedeckt, sind Tatsachen, die nun von der Philosophie alsblosse" Tatsächlichkeiten zugunsten eines höheren allgemeineren Seins nicht mehr beachtet, so ent­wertet und dadurch vor Angriffen bewahrt werden.

Für den Anteil, den die jüdischen Intellektuellen an der dialektischen Entwicklung des Kapitalismus nehmen, ist es bezeichnend, wie die Philosophie Hermann Cohens sich mit der allgemeinen philosophischen Situation, die wir oben gekennzeichnet haben, auseinandersetzt. In seinem schönen Vorwort zu Cohens jüdischen Schriften berichtet Franz Rosenzweig von einem Gespräch Friedrich Albert Langes mit Cohen in Marburg. Lange fragte:Ueber das Christentum sind unsere Ansichten verschieden?" Cohen er­widerte:Nein, denn was Sie Christentum nennen, nenne ich prophetisches Judentum." Und Cohen macht zu diesem Gespräch die Anmerkung:So hat der ethische Sozialismus uns mit einem Schlage über die Schranken unserer Religion hinweg geeinigt." Es fühlt sich der Kantianer Cohen un­mittelbar zum Sozialismus gezwungen, es klingt bei ihm der Name von Karl Marx an, wenn er auch freilich dessen höchst unidealistische Theorieethisch" interpretiert. Aber neben Kant und dem Sozialismus tritt hier als drittes Glied das Judentum auf. Ja, dieses frühe Gespräch enthält be­reits im Kerne die ganze spätere Religionsphilosophie. Es möchte zunächst scheinen, als ob eine Erneuerung Kants, zumal vom Blickpunkt seiner wissenschaftlichen Brauchbar­keit, zumal im Zusammenhang mit Kants Bedeutung für Mathematik und Naturwissenschaft der Religion befremdet gegenüberstehen müsste: es möchte scheinen, als ob der von der ;,Reinheit" der Vernunft faszinierte Philosoph, für den Kant nicht wie für den Theologen Moses Mendelssohn einAlleszermalmer", sondern einGrundleger" war, zu den Inhalten der Theologie keine Beziehung fände. Wird die Religion, werden die religiösen Inhalte des Judentums vor der Ratio bestehen? Schon ein Blick auf Cohens Schrif­ten zeigt, wie dringlich ihm das Problem ist. Neben den historischen AufsatzDie Ethik des Moses Maimuni" tritt programmatisch eine Abhandlung überInnere Beziehun­gen der kantischen Philosophie zum Judentum", neben die scheinbar nur aus Gründen philosophischer Systematik ge­forderte SchriftDer Begriff der Religion im System der Philosophie" tritt als VermächtnisReligion der Vernunft