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Albrecht Hellmann:

so kann dies doch nicht der beispiellosen Größe jener geschichtemachenden Ent­deckung des Menschen als Menschen, das heißt als Subjekts politischer Rechte schlechthin, ohne Rücksicht auf traditionelle und autoritäre Rechte, die ihn zu ihrem Objekt machen, Eintrag tun. Die französische Revolution verwirklichte mit ihrer Declaration des droits de l'homme et du citoyen in einer bisher noch niemals dagewesenen Reinheit und Unbedingtheit politischen Handelns, das doch seinem Wesen nach eine durchaus auf Kompromisse angewiesene Form der Realisierung ist, die großen Ideen ihres Jahrhunderts. Die führende dieser Ideen war die des natürlichen Rechts, des Naturrechts.Les hommes naissent et demeurent libres et egaux en droit", verkündete die Declaration. Diese Erkenntnis des Menschen als eines mitangeborenen, schon durch die Vernunft einleuchtenden Rechten* 4 begabten Wesens unterliegt noch der naturrechtlichen Betrachtungsweise, deren schematische Abstraktion nicht deutlicher aufgedeckt werden kann, als wenn man sich an die heute so fühlbar und bestimmend gewordene Antithesis zwischen Geist und Natur erinnert, die auch den vollkommenen Bedeutungswandel des zweiten Begriffes klarmacht. Natur ist uns nicht mehr jene einfache Ordnung undNatürlichkeit" (dieses Wort behielt den alten Begriffsinhalt bei) wie vordem, nicht mehr die Mutter und Heimat des Rechts, sondern die Feindin und der Gegensatz des Rechts, das ein Produkt des menschlichen Geistes oder, wenn man will, einer übernatürlichen Macht ist. Der Geist der Aufklärung, dem die großen Prinzipien der französischen Revolution entstammten, war rationalistisch und naturalistisch. Die Rechtsidee, die ihn krönte, war sein Naturgesetz, nicht die Exekutive seiner Moral. Die Entfesselung der Person aus staatlichem, herr­schaftlichem und kirchlichem Zwange fand nicht ihre neue Bindung durch die sittliche Idee, die nach Hegel auch die Idee der Freiheit ist. Diese Freiheit war noch natural und verantwortungslos, diese Gleichheit vor dem Gesetze noch formelhaft, doktrinär und Vorwand neuer, gesetzlicher Willkür, diese Brüderlich­keit noch ideologische und unverbindliche Schwärmerei, nicht ethische Solidarität und das religiöse Gefühl jener unaufhörlichen Schuld, die Leben heißt Nicht das Göttliche, die Sittlichkeit, sondern das rationale Recht der menschlichen Natur", nicht die Fülle der konkreten und differenzierten Realität, sondern die Abstraktion des in Einheitsmaß und Einheitsgewicht sich ausdrückenden Naturgesetzes, der Mensch, der abstrakte Mensch als uniforme politische Einheit, als Bürger war das Maß aller Dinge.

Es ist das Merkmal aller Revolutionen, daß ihre Vorstellungen und Ziele maximalistisch sind. Dies ist ganz einfach nach dem alten Gesetze von dem Druck, der einen gleich starken Gegendruck auslöst, zu erklären. So ist der russische Maximalismus die notwendige Folge des Zarismus und der Gedanke der Menschheit in seiner modernen politischen Bedeutung durch den Menschen der französischen Revolution, den früheren grauenhaft unterdrückten und ausge­sogenen, fast ein tierähnliches Dasein führenden Leibeigenen geschaffen worden. Der Internationalismus, wenn man so die politische Richtung, der diese unwirkliche AbstraktionMenschheit" zugrunde liegt, bezeichnen will, ist also ein durchaus maximalistischer Begriff. Er statuiert nicht nur grundsätzlich die Gleichheit aller Menschen, sondern auch die der Völker und geht damit auch noch über das Maximum politischen Denkens, das im Begriff des Menschen als Trägers bürger­licher Gleichheit steckt, hinaus, indem er diesen zum Weltbürger, zum Kosmo­politen, nicht bloß zum Bürger im politischen Sinne macht. In der politischen