EINE ENTTÄUSCHUNG UND IHRE LEHRE
Zur Lösung der rumänischen Judenfrage
ir sind also wieder einmal enttäuscht worden, bitter und schmählich enttäuscht. Wir hatten erwartet, daß dieser Krieg die Lösung der rumänischen Judenfrage bringen, bestimmt geglaubt, daß der Friede mit Rumänien diese Lösung aussprechen werde. Wir hatten auch scheinbar allen Grund zu solchem Glauben gehabt. Schon vor der Veröffentlichung des Friedensvertrags war von offizieller Seite bekannt gegeben worden, daß die Judenfrage dank der Intervention der Zentralmächte gelöst sei; und Graf Czernin erklärte schlankweg in Wien, fortan würden die rumänischen Juden gleichberechtigte Bürger ihres Landes sein. Und sogar im Kommentar zum Friedensvertrag schreibt noch die halbamtliche „Norddeutsche Allgemeine Zeitung": „Die Mittelmächte haben es für ihre kulturelle Pflicht gehalten, diese Frage verbindlich zu regeln.* 1 Der Wortlaut des Vertrags liegt nunmehr vor; sehen wir uns die „Regelung" näher an.
Im 7. Kapitel des Vertrags, unmittelbar vor den Schlußbestimmungen, nachdem im vorhergehenden Kapitel die „Regelung der Donauschiffahrt" in allen Einzelheiten festgelegt worden ist, wird in zwei Paragraph:;: die „Gleichstellung der Religionsbekenntnisse in Rumänien" besprochen. Artikel 27 besagt: „In Rumänien wird dem römisch-katholischen, dem griechisch-unierten, dem bulgarisch-orthodoxen, dem protestantischen, dem islamitischen und dem jüdischen Kultus dieselbe Freiheit, sowie derselbe gesetzliche und behördliche Schutz wie dem rumänisch-orthodoxen Kultus gewährt." Artikel 28 bringt im ersten Satz zunächst die Proklamierung des Toleranzprinzips: „Die Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses soll in Rumänien keinen Einfluß auf die Rechtsstellung der Einwohner, insbesondere auf ihre politischen und bürgerlichen Rechte, ausüben." Satz 2 geht zur Judenfrage über: „Der im Absatz 1 ausgesprochene Grundsatz wird auch insoweit zur Durchführung gebracht werden, als es sich um die Einbürgerung der staatlosen Bevölkerung Rumäniens mit Einschluß der dort bisher als Fremde angesehenen Juden handelt." Satz 3 bringt dann das Entscheidende: „Zu diesem Zwecke wird in Rumänien bis zur Ratifikation des Friedensvertrages ein Gesetz erlassen werden, wonach jedenfalls alle Staatlosen, die am Kriege, sei es im aktiven Militärdienst, sei es im Hilfsdienst, teilgenommen haben, oder die im Lande geboren und dort ansässig sind und von dort geborenen Eltern stammen, ohne weiteres als vollberechtigte rumänische Staatsangehörige angesehen werden sollen und sich als solche bei den Gerichten einschreiben lassen können. Der Erwerb der rumänischen Staatsangehörigkeit wird sich auch auf die Ehefrauen, die Witwen und die minderjährigen Kinder solcher Bürger erstrecken." Allein wichtig und entscheidend ist dieser dritte Satz, der die konkrete Durchführung des Gleichberechtigungsprinzips regelt. Von einer kollektiven Anerkennung der Gesamtheit der rumänischen Judenheit a ls gleichberechtigte rumänische Bürger ist in ihm keine Rede. Es wäre dies
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