Eine Enttäuschung und ihre Lehre

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Man sieht, auch nach diesem Gesetz ist im wesentlichen alles in das Be­lieben der rumänischen Beamten gestellt, und das Entscheidende: die Durch­führung und Sicherung der Gleichberechtigung der Willkür der rumänischen Behörden zu entziehen, ist nicht erfolgt. Kann aber jemand von uns fordern, zu der rumänischen Regierung das Vertrauen zu haben, sie werde auch nur den leisesten Willen zeigen, die Bestimmungen des Vertrags zu erfüllen? Wer solches von uns fordern wollte, sei gebeten, die beiden jüngst erschienenen Bro­schüren von J. Cargher und Dr. I. Bernstein zu lesen*), in denen ein Teil aus dem ungeheuren Material der rumänischen Judenfrage gesammelt worden ist; er wird, sobald er nur ein wenig in diese Sammlungen zahlloser Dokumente raffiniertester Schlauheit und beinahe unausdenkbarer Niedertracht eines korrupten Beamtengesindels hineingeblickt hat, dieses Vertrauen von uns nicht mehr verlangen. Dasselbe Beamtentum ist an der Herrschaft geblieben; glaubt man, es denke auch nur im entferntesten daran, die Bestimmungen des Artikel 27 und 28 des Bukarester Vertrages besser zu erfüllen als den Artikel 44 des Ber­liner? Es hat in den vierzig Jahren seit dem Berliner Kongreß gelernt, was Europa sich bieten läßt, wenn es sich um Gebote der Humanität und Sittlichkeit, wenn es sich zumal gar um deren Anwendung auf Juden handelt. Es hat bei den gegenwärtigen Verhandlungen in Bukarest eben wieder gelernt, wie lau, achtlos und unernst europäische Regierungen und Staatsmänner sind, wenn es jüdische Fragen betrifft. Glaubt man in der Tat, es werde nach solchen Lehren sich be­müßigt fühlen, die im Vertrage festgelegten Rechte den Juden wirklich zu ge­währen, und nicht vielmehr überzeugt sein, daß die Mächte, die einer solchen Regelung der rumänischen Judenfrage zugestimmt haben, sich nicht weiter um die Durchführung dieser Regelung bekümmern werden?

Es wird mit Recht solche Überzeugung hegen dürfen. Hätten die Regie­rungen und Unterhändler der Mittelmächte auch nur ein Quentchen des Ernstes und der Gewichtigkeit, mit der sie beispielsweise die Regelung der Donau­schiffahrt vorgenommen haben, für die Judenfrage aufgebracht, sie hätten nicht diese durchaus ungenügende, diese beinahe komödienhaft wirkende Form ihrer Lösung akzeptiert. Man sage nicht, sie seien nicht informiert gewesen, sie seien der Schlauheit der rumänischen Politiker zum Opfer gefallen. Sie waren informiert: über die bisherige vierzigjährige Haltung der Rumänen in der Juden­frage, über die niederträchtigen Methoden ihrer Umgehung des Berliner Ver­trags; sie waren auch während der jetzigen Verhandlungen über alle Einzel­heiten informiert, und noch vor Abschluß des Vertrages sind sie in der Presse gewarnt worden, dem jetzt durchgeführten Modus zuzustimmen. Sie haben es dennoch getan, gewiß nicht aus bösem Willen, aber aus Lauheit, aus innerer Uninteressiertheit, aus mangelndem Ernst. Es galt ja keine Wirtschaftsfragen zu regeln; es standen ja keineInteressen" auf dem Spiel. Es ging ja nur um fragen der Gerechtigkeit und Humanität. Kann man da von heutigenReal­politikern" verlangen, daß man sich lange mit den Rumänen darüber herum­schlage und die Streitpunkte, die schon ohnedies bei den wirklich ernsthaften, wirkliche Interessen berührenden Fragen zahlreich genug waren, noch vermehre?

Es beruht eine solche Haltung nicht auf einer besonderen Böswilligkeit der beteiligten Regierungen und Staatsmänner. Haben England und Frankreich, als

*) Wir werden im nächsten Hefte auf sie zurückkommen. (D. Red.)

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