Die Forderungen des jüdischen Volkes an die Friedenskonferenz
Das Palästinaproblem hat sich in dieser Darstellung, welche die Grundgedanken des Zionismus als politischer Bewegung herauszuheben und aus diesen die jüdischen Forderungen an den Friedenskongreß zu entwickeln sich bemühte, eng verknüpft mit dem Galuthproblem gezeigt. Auf die für die einzelnen Länder der Diaspora geltenden besonderen Forderungen der dort wohnenden nationalen jüdischen Minderheiten kann im Rahmen dieses Artikels nur beiläufig eingegangen werden. (Die Frage der vollen und tatsächlichen bürgerlichen Gleichberechtigung steht ja mit Ausnahme von Rumänien vorläufig außer Diskussion oder hängt mit der Frage der nationalen Gleichberechtigung zusammen.) Leider ist auch das theoretische Material zur Behandlung dieser Probleme vollkommen ungenügend: ein Mangel, der leicht verhängnisvolle Folgen haben kann. Außer Max Rosenfeld und Adolf Böhm ist kaum jemand bekannt, der sich mit der Frage der nationalen Minderheitsrechte, dieser subtilsten, schwierigsten und verantwortungsvollsten aller jüdischen Galuthfragen, von zionistischer Seite ernstlich befaßt hat. Eine weiter ausholende, kritisch-selbständige und abgeschlossene Darstellung, die alle die vielfachen Besonderheiten der jüdischen Lage in den verschiedenen Ländern genau berücksichtigt, fehlt überhaupt. Eine nicht einwandfrei und wissenschaftlich fundierte, sondern nur mehr oder weniger parteimäßige Klärung dieser Fragen für die Länder des ehemaligen österreichischen Kaiserstaats haben die Vorarbeiten für den geplant gewesenen österreichischjüdischen Kongreß gebracht. Für Galizien, dessen Judenheit jetzt mit der in Polen, bzw. in der Ukraine-Rußland gemeinsame Schicksale haben wird, verlangen die Nationaljuden die nationale Autonomie auf Grund des Personalitätsprinzips, ebenso wie für die anderen östlichen Länder jüdischer Massensiedlung. Dieses Postulat ist weitergehend als das nach einem nationalen Wahlkataster. Begründung, Kritik und nähere Ausführung dieser Forderung würde eine umfangreiche Arbeit erfordern und muß darum vorläufig zurückgestellt werden, so außerordentlich bedauerlich es ist, mit einem so mangelhaften Rüstzeug vor den Friedenskongreß zu treten. Es ist dabei nur ein schwacher Trost, daß nicht so sehr wir die Verhältnisse, als die Verhältnisse uns bestimmen werden und bei Wahrung der Grundprinzipien eine allzu große Gefahr, zuviel oder zu wenig verlangt zu haben, nicht besteht. Absolut unzulässig und auf das Entschiedenste zurückzuweisen ist aber eine Forderung, die die letzte zionistische Konferenz in Litauen zum Beschluß erhoben hat. Unter den Hauptforderungen des jüdischen Volkes auf der Friedenskonferenz wird da als zweite genannt: „Sicherung von national-personalen Autonomien für die jüdische Bevölkerung aller (!) Länder." Diese Formulierung beweist, wie wenig Sachkenntnis auch im Osten in dieser vitalsten Frage des östlichen Judentums vorhanden ist Die Form der nationalen Autonomie, die der Wiener Jüdische Nationalrat in seinem Memorandum an die deutsch-österreichische Regierung verlangt, ist nicht vollkommen klar präzisiert. Die in dieser Denkschrift erhobenen innerpolitischen Forderungen sind: „Selbstverwaltung in allen Angelegenheiten, welche die jüdische Nation allein angehen, insbesondere die Selbstverwaltung in allen kulturellen Angelegenheiten einschließlich des Erziehungswesens." Als Organ dieser Selbstverwaltung wird die jüdische Volksgemeinde verlangt. Ferner fordert der Nationalrat „Sicherung einer entsprechenden Vertretung in den territorialen Repräsentationskörpern und Behörden". Bedeutet das erste der hier zitierten Postulate die Forderung nach einer Teilung