MARTIN BUBER / IN SPÄTER STUNDE

Nun, da uns in später Stunde, anderthalb Jahre nach dem Abschluß des Kriegs, mitgeteilt wird, daß in San Remo Großbritannien dasMandat" für Palästina % erteilt, die Balfoursche Deklaration dem Friedensvertrag mit der Türkei einverleibt und England beauftragt wurde, in dem für Palästina auszuarbeitenden Statut die Errichtung einer nationalen Heimstätte für die Juden sicherzustellen, nun können wir nicht mehr jubeln. Wir sind in anderthalb Jahren, in denen wir, zur Untätigkeit gezwungen, den Ausgang des Hadems und Feilschens erwarteten, während jede Stunde dieser euro­päischen Richtungslosigkeit die Luft in Palästina mehr und mehr vergiftete, wir sind in anderthalb Jahren der kalten Pein still geworden. Aber end­gültig haben wir in den letzten Wochen das Jubeln verlernt, als in Jerusa­lem, im dritten Jahr nach der Deklaration und im ersten nach Versailles, von der englischen Lokalverwaltung begünstigt, der dreitägige Pogrom sich ereignete, dessen Gedächtnis nicht allein aus dem großen Memorbuch des jüdischen Martyriums, dessen grausamste Inschrift er bildet, sondern auch aus den Annalen der britischen Weltherrschaft nicht mehr zu tilgen sein wird. Nicht als ob über die Teilnehmer am Pogrom nicht Gericht gehalten würde: am Morgen eben des Tages, an dem mich das Telegramm über den Beschluß von San Remo erreichte, erhielt ich die Nachricht, daß zwei Araber wegen Plünderung und Brandstiftung zu 15 Jahren Zwangsarbeit und Wladimir Jabotinski, der Initiator der jüdischen Legion, die an der Seite der britischen Truppen um Palästina gekämpft hat, wegen Vorfindung von Feuerwaffen und Munition in seinem Besitz ebenfalls zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden ist*), ferner daß 19 andere Mitglieder der jüdischen Selbstwehr, die ebenso wie er durch die vorsorglichen Behörden am Eingreifen, d. h. an der Verteidigung ihrer Brüder gegen die sie unbehindert hinmetzelnden Huliganen verhindert worden waren, für ein analoges, aber leichteres Vergehen geringere Strafen erhielten.

Wir haben für unseren Jubel ein Lächeln von besondrer Art eingetauscht. Es ist kein gutes Lächeln.

Und nun, da die seit anderthalb Jahren erwartete Botschaft zu uns kommt, können wir nicht mehr als dieses Lächeln unterdrücken. Gelassenen An­gesichts, unbefangenen Blicks wollen wir betrachten, was in dieser Zeit mit uns geschehen ist, was nun mit uns geschehen wilL

*) Während ich die Korrektur dieses Aufsatzes lese, erfahre ich, daß die Strafe seither gemildert worden ist; das kann aber an der bitteren Ironie der Situation nichts mehr ändern.

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