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Umschau: Frauenfragen
wir uns leichter verständigen können, wenn wir feststellen, wie weit wir zusammengehen können. Und mir scheint, wir können es ein gut Stück Weges.
Im Theoretischen trennt uns Unüberbrückbares. Ich bin kein verzückter Flagellant der Selbstbeschuldigung und Selbstauflösung, wie mich mein Freund Kaznelson (irrtümlich) klassifiziert. Ich kann nur nicht an die Heiligkeit des Eigentumsbegriffes und der höchsten Güter einer Nation glauben und auch nicht daran, daß, ob jemand ein Majoritätsvolk oder ein Minoritätsvolk in irgendeinem abgegrenzten Teil der Erdoberfläche sei, wesentlichen Einfluß haben könne oder dürfe. Dies ist mir zu mechanisch-geographisch. Palästina ist heute ein Überwiegend von Arabern bewohntes Land, daran können wir nichts ändern, und wenn wir auf dem Standpunkt stehen, ein Volk habe bestimmte Landrechte, dann ists auch ein berechtigt arabisches Land. Kaznelson findet sehr schöne und edle Worte über unsre Geschichte, den Heimatbegriff und das Eigentumsrecht, die ich alle nicht näher zerlegen will, denn ich werde ihn ebensowenig überzeugen wie er mich. Und vielleicht möchte ich dann ebenso in den Fehler verfallen, seinen Worten einen andern Sinn (unbewußt) zu unterstellen, wie er es mir gegenüber tut.
Mein Freund Kaznelson braucht nicht darüber zu lächeln, daß ich unserer Geschichte eine Tragik zuschreibe, die gegen die Logik der Natur geht. Vielleicht bildet dies die Einzigartigkeit und die Größe unserer Geschichte, Und ich, der ich fünf Jahre eines von allem Streite des „Zionismus als geistige Bewegung" entfernten Lebens darauf verwandt habe, mich in diese Geschichte zu vertiefen, bejahe freudig ihre Tragik und -nehme sie auf mich. Und hier bin ich schon bei den letzten schönen Worten von Kaz- nelsons Erwiderung, die ich fast alle (mit Ausnahme der Fabel vom historischen Rechte, mit der er sie einleitet) mit unterschreibe. Nur daß nach Kaznelsons Auffassung den Arabern doch Unrecht geschieht, nach meiner aber nicht, wenn . . .
Und hier sind wir dort, wo das Wichtige beginnt und wo ich, wie ich glaube, mit Kaznelson zusammengehen kann. Ich habe zur Araberfrage zu sprechen begonnen, nicht um theoretisch ein Recht begründen oder zu bestreiten, sondern weil ich eine ungeheure Gefahr gesehen habe: den chauvinistischen Geist unserer Zionisten, ja selbst leider den unserer Arbeiter und unserer Jugend in Palästina und in der Diaspora. Unsere Menschen kommen in das Land mit dem Herrengefühle historischer Rechte und der sie anerkennenden Einleitungen der Mandate. Das ist nicht mehr die Tragik unserer Geschichte, sondern das ist die verbrecherische Dummheit der Theorie der Eigentumsrechte, Die Theorie
ist mir nicht wichtig, aber ihre psychologische Wirkung ist es, deren Symbol Jabotinskys Legion ist. Und darum werde ich nicht aufhören, gegen sie zu schreien. Denn „dieser Glaube (an das, was wir Großes der Menschheit noch schenken werden) ist der innerste Kern, das unaufhörlich schlagende Herz unseres Zionismus, das uns allein das mit ihm verknüpfte Unrecht ertragen läßt." Schön, aber dann beginnt nicht so! Sonst muß ich fürchten, daß die „Schatten unseres Neubeginns und unserer Auferstehung", die in einer erschreckenden Weise schon da sind, stärker sein werden „als das Bild und die Unvergänglichkeit des Kommenden", das noch nicht da ist und das von unserer psychischen Einstellung abhängt.
Auch glaube ich (und ähnliches habe ich in meinen ersten Ausführungen zur Araberfrage gesagt, die mir leider nicht zur Hand sind), daß es möglich ist, zwei (und vielleicht auch mehr) Völker auf einem Territorium so nebeneinander und miteinander wohnen zu lassen, sodaß keines von dem „politischen Schicksal" des andern und „der Weisheit oder Verständnislosigkeit seiner Führer" abhängig ist. Ich glaube, daß die heute herrschende Territorialstaatsherrschaftsform nicht mehr sehr lange währen wird (womit ich aber kein Bolschewik bin, wozu mein Freund Kaznelson alle Gegner der bürgerlichen Demokratie zu rechnen scheint) und daß, wenn das jüdische Volk in der Lösung der Aufgabe des Zusammenlebens von Völkern ohne gegenseitige Bedrückung vorangeht, es tatsächlich- der Welt viel geben wird. Und das ist auch mein Glaube. Um ihn aber zu verwirklichen, sehe ich mich genötigt, immer wieder die Veständnislosigkeit nicht nur unserer Führer, sondern auch unserer Arbeiter und unserer Jugend zu bekämpfen. Und ich freue mich, vermuten zu dürfen, daß bei diesem Kampfe — trotz aller tiefgehenden prinzipiellen Gegensätze — das sittliche Temperament Kaznelsons mich oft unterstützen wird.
Hans Kohn
FRAUENFRAGEN Ein Brief aus Palästina
Ich will versuchen, H. H. Cohn auf ihren Artikel „Frauenfragen" („Der Jude" Nov.- Dez. 1920,) zu antworten.
Von Europa aus gesehen, haben die Erscheinungen despalästinensischenLebens manchmal schönere, manchmal häßlichere Farben als in Wirklichkeit. Manches faßt man dort als Uebel auf und es ist — näher gesehen — hier ein Vorteil. Und manchmal ist es umgekehrt.
Die Frauenfrage in Palästina z. B. ist hier durchaus nicht so kompliziert wie in Europa und ich glaube, daß die palästinensischen