DIE LEHREN VON IRLAND

Anläßlich des Friedensschlusses zwischen England und Irland hat das Publicity-Departement der zionistischen Exekutive einige Artikel aus­gegeben, welche die Bedeutung dieses Ereignisses für den Zionismus dar­stellen sollen. Dabei wurden vor allem zwei Gesichtspunkte hervorgehoben. Der erste war die naheliegende Analogie, die sich beinahe immer ergibt, wenn irgendein Volk aus Knechtschaft zur Freiheit gelangt, wenn eine Nation einen Schritt der nationalen Selbstbefreiung macht; und bei Irland kommt noch hinzu, daß die Majorität des irischen Volkes in der Diaspora lebt, daß es eine irische Assimilation gibt, daß das nationale Ideal sich erst durchsetzen mußte und daß durch unbeugsamen Willen sowie durch die Opferwilligkeit des ganzen Volkes das nationale Zentrum wiederhergestellt wurde. Der andere Hinweis galt der Tatsache, daß durch die Lösung des irischen Konflikts die englische Politik wesentlich entlastet wurde, so daß England sich nun auch dem palä­stinensischen Problem wieder mit mehr Ruhe und Sorgfalt zuwenden könne; dies zeige sich konkret auch schon dadurch, daß Teile der bisher in Irland gebundenen englischen Garnison jetzt für Palästina frei werden. Der Zionis­mus kann also gute Hoffnung schöpfen.

Die Berechtigung dieser Konklusionen soll nicht angefochten werden. Es scheint uns aber, daß die Betrachtung des irischen Problems auch zu anderen Ergebnissen führen kann. Der Fall ist freilich für den Zionismus lehrreich. Pie Lehre aber, die daraus geschöpft werden sollte, ist mit den erwähnten offiziellen Hinweisen nur oberflächlich berührt. Uns lehrt sie vor allem zweierlei.

Erstens beweist sie am schlagendsten den neuen Kurs der englischen imperialistischen Politik, von dem Martin Buber in Karlsbad und in seinem Kongreßaufsatz imJuden« gesprochen hat. Weizmann hat schon bei der A. C.-Sitzung in Prag ; gerade mit Betonung des irischen Beispiels, davor ge­warnt, die englische Palästinapolitik nach der alten imperialistischen Schab­lone zu beurteilen und darauf zu bauen, daß strategische Interessenpolitik England die Förderung des Zionismus gebiete. Aber was diese Feststellung bedeutet, wird in unsern Reden nicht klar erfaßt. Gerade die eigentümliche Beschaffenheit Palästinas und des dort zu lösenden politischen Problems läßt eine so einfache Betrachtungsweise, wie sie die erwähnten offiziellen Artikel zeigen, nicht zu. England gestaltet sich immer mehr zu einem Welt- Staatenbund um; es gibt den Dominions Freiheiten, die, abgesehen von der

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