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Umschau: Moderne hebräische Literatur

so daß es nicht Assimilation um der As­similation willen war. Die Schilderung der Entartung des Gemeindejudentums im 19. Jahrhundert ist der Auftakt der radikalen Verneinung, die festzuhalten ist, ent­gegen allen späteren Versuchen, die Traditio­nen jener Trägheitsprodukte auch in den Zionismus einzuschleppen. Mit dieser Ver­neinung ist die Erlösungsbereitschaft geschaf­fen, die auf das Wort des Zionismus wartet. Von hier aus tönt der Orgelpunkt dieser Sehnsucht durch das ganze Buch, erneuert stets durch die verwandten Töne, die im Lauf der Darstellung angeschlagen werden, beson­ders durch die jenen Faden fortspinnenden Kapitel über die jetzige Bewegung. In einem Sonderkapitel gibt Böhm eine Darstellung der Gedankenwelt Martin Bubers, Natan Birn­baums und A. D. Gordons, die er auch in ihren direkten Einwirkungen auf den Zionis­mus verfolgt. Dieses von tiefem Verständnis zeugende Kapitel ist ein besonders wertvoller Versuch, gegen viele teils törichte, teils bös­willige Mißdeutungen die Würde objektiver Betrachtung zu retten und plebejischer An­feindung entgegenzutreten. Am Ende löst sich der Orgelpunkt in den Schlußakkord jener Mahnung auf, die General Smuts dem Zionismus gegeben hat: das Leben des Vol­kes mit dem Leben der Welt, das Nationale mit dem Internationalen zu versöhnen.

Die Tatsachengeschichte selbst hat Böhm sachlich und objektiv dargelegt; vielleicht etwas zu objektiv, besonders in der Zuteilung anerkennender Epitheta. Aber es ist begreif­lich, daß Böhm gerade in dieser Arbeit die Kritik auf ein Minimum beschränken wollte. Die Entwicklung der zionistischen Partei be­trachtet er als Anhänger dersynthetischen" Richtung, die die Fehler des reinen Chowewe- Zlonismus ebenso erkennt wie die des rein mechanistischenpolitischen" Judenstaatszio­nismus. Besonders wertvoll sind die Ab­schnitte über die Kolonisation, die das von Böhm stets bekundete Verständnis für die Arbeiter­frage als das zentrale Problem erweisen. Die Anordnung und Darstellung zeichnet sich durch die Klarheit und Uebersichtlichkeit aus, die wir an Böhms früheren Arbeiten (Broschü­ren über zionistische Palästinaarbeit, über den Nationalfonds, Aufsätze in der Zeitschrift Palästina", in derJüdischen Zeltung", der Jüdischen Rundschau" und auch imJuden") schätzen.

Eine der erfreulichsten Erscheinungen auf dem zionistischen Büchermarkt ist dieser Ab­riß einer Geschichte des Zionismus. Möge die Dankbarkeit der Schüler und Hörer, die hier nicht nur Information, sondern auch Er­mutigung schöpfen, auch dem Autor Ermuti­gung sein zur Fortsetzung und Ausgestaltung des Werkes.

Robert Weitsche

MODERNE HEBRAEISCHE LITERATUR Einleitende Uebersicht I.

Man pflegte sich immer, wenn man auf jüdische Angelegenheiten vor Westeuropa, sei es dem allgemeinen oder dem jüdischen, zu sprechen kam, Mühe zu geben, die Dinge so darzustellen, daß sie den erwünschten Eindruck gemäß der zugrundeliegenden Ab­sicht machen sollten. Man war doch nur bestrebt, dergroßen Welt" zu zeigen, daß auch wir, das Ghettovolk, etwas haben und können, man wollte für uns die öffentliche Meinung gewinnen, Stimmung schaffen, Aner­kennung erlangen. Daher kommen viele Uebertreibungen, manche Fehlschlüsse, über­mäßige Begeisterung, Verwischung der Eigen­tümlichkeit und manches andere.

Das Schlimmste und Schädlichste lag darin, daß der jüdische Gegenstand, das Subjekt der Betrachtung oder Behandlung, zum bloßen Objekt wurde, Objekt für ver­schiedene unzutreffende Vergleiche zwischen der jüdischen und der allgemeinen Welt.

Diesem Schicksal konnte leider auch die jung-hebräische Literatur nicht entgehen. Auch ihr wurde mancherlei Gewalt angetan, indem man sie nicht an sich, als Produkt des Ringens der letzten oder der zwei letzten Generationen betrachtete, derjenigen Teile des jüdischen Volkes, die in der einen oder anderen Gestalt jüdische Lebensformen, jü­dischen Stil oder sogar jüdische Inhalte zu bewahren vermochten. Die neu-hebräische Literatur (darunter soll die Haskala-Litera- tur, die mit Mendelssohn und Wessely beginnt, verstanden werden) ist ein Kind des Westens, Fleisch von seinem Fleische. Geboren in Deutschland, gepflegt in Oesterreich-Galizlen, gefördert durch einzelne Schriftsteller, Ueber- reste des alten Judentums aus dem Nieder­landen usw., wußte die neu-hebräische Li­teratur ihrenwestlichen Charakter" auch später zu bewahren, nachdem sie, dank ver­schiedenen geschichtlichen und kulturellen Bedingungen, den Wanderstab ergreifen mußte und sich unter dem festen, ziemlich einheitlichen Judentum des Ostens (Rußland) einzubürgern versuchte. Westlich war sie durch ihren Aufklärungs- und Bildungscha­rakter, zwei Grundideen, die sie aus dem Westen übernommen hatte, ohne den spe­zifischen Volkscharakter zu berücksichtigen. Rationalismus und Romantik traten da zu­sammen. Da aber die beiden nicht so recht zusammenpassen, so war das Ergebnis, ab­gesehen von einzelnen wertvollen Schöpfungen, eine Mißbildung. Wiewohl diese Literatur aus dem Westen stammte, konnte sie der Westler kaum erkennen, dennoch stand sie ihm in ihrem Grundton nicht aber ihrer Form und ihrem Stil nach) ganz nah.